Neuropathie

Neuropathie bei Krebspatienten: Wie Nervenschäden entstehen

Mechanismen, Risikofaktoren, Vorbeugung neurotoxischer Folgen der Krebstherapie

Letzte Aktualisierung: 19.01.2018

Informationen aus dem Internet können Ihnen einen Überblick bieten. Sie sind nicht dazu geeignet, die Beratung durch einen Arzt zu ersetzen.

Bei manchen Tumorpatienten treten geschädigte Nerven als Folge einer Behandlung mit Krebsmedikamenten auf. Auch eine Strahlentherapie oder der Tumor selbst können Nerven schädigen. Die Störung kann vorübergehend sein, bei einigen Betroffenen aber auch anhalten. Von der "neurotoxischen" Wirkung mancher Therapien sind bei den meisten Patienten Nerven betroffen, die für Tastempfinden, Temperaturwahrnehmung und Reiz- und Schmerzweiterleitung zuständig sind. Fachleute bezeichnen diese Schädigung als "Neuropathie". Einer Neuropathie vorzubeugen, ist bislang nur bedingt möglich.

Dieser Text richtet sich an Betroffene, Angehörige und Interessierte. Er bietet Antworten auf folgende Fragen: Welche Ursachen können Nervenschäden bei Krebspatienten haben? Welche Nerven sind häufig betroffen? Kann man Nervenschäden vorbeugen oder sie früh erkennen? Wichtig zu wissen: Geht es um die Diagnose oder Behandlung, ersetzen Informationen aus dem Internet nicht das Gespräch mit dem behandelnden Arzt.

Patientin erhält Chemotherapie. Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
Krebsmedikamente können Nerven schädigen. Bild: Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum

Als häufige Ursache von Nervenschädigungen kommt bei Krebspatienten vor allem die Krebsbehandlung infrage: Vor allem manche Chemotherapie-Mittel schädigen die Nerven.

Auch bei Operationen und manchen Strahlentherapien lässt es sich nicht immer vermeiden, dass kleine Nerven verletzt werden. Nach Operationen kommt es dann beispielsweise zu Taubheit oder Berührungsempfindlichkeit der Haut um die Narbe herum. Schließlich kann auch der Tumor selbst Nerven zerstören, indem er sie umwächst oder auf sie drückt.

Insbesondere bei Krebspatienten mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung kann es für Ärzte oft schwierig sein, die tatsächliche Ursache neuropathischer Beschwerden auf Anhieb herauszufinden. Bei vielen Tumorpatienten spielen mehrere Faktoren eine Rolle.

Wichtige Fragen für die Diagnosestellung sind deshalb: Gibt es weitere Risikofaktoren, etwa Vorerkrankungen?

Ein höheres Risiko für Nervenschäden durch eine Krebsbehandlung tragen Krebspatienten

  • mit anderen Erkrankungen wie etwa Diabetes, Nierenschwäche, Unterfunktion der Schilddrüse sowie Erkrankungen des Bindegewebes und entzündlich-rheumatischen Erkrankungen,
  • mit häufigem Alkoholkonsum,
  • mit Vitaminmangel (vor allem B1, B6, B12),
  • mit einer Infektion durch HIV und
  • mit angeborenen risikosteigernden Veränderungen in den Erbanlagen.

Sind ältere Krebspatienten eher gefährdet? Inwieweit ein höheres Lebensalter das Auftreten von Nervenschäden bei einer Krebsbehandlung begünstigt, ist noch nicht abschließend geklärt.

Wie sich eine Neuropathie bemerkbar macht

Lässt sich das Risiko einschätzen?

Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob bei Ihnen ein Risiko für Nervenschädigungen besteht.

Was man bisher als normale Berührungen empfand, kann mit einer beginnenden Nervenschädigung plötzlich unangenehm oder schmerzhaft sein. Manche Patienten nehmen Druck, Berührung, Schmerz oder Vibration und Temperatur auch nur noch schwach oder gar nicht mehr wahr. Bei anderen Betroffenen werden Füße und Hände taub und es fällt ihnen schwer, etwas zu greifen, zu schreiben oder sicher zu gehen. Wieder andere Patienten spüren ein Kribbeln oder "Ameisenlaufen" in Fußsohlen oder Fingerspitzen.

Sind nicht die Nerven in Armen oder Beinen, sondern Hirnnerven betroffen? Dann können Patienten unter Umständen schlechter hören oder sehen.

Insgesamt gilt: Betroffene sind durch diese belastenden Symptome einer Nervenschädigung in ihrem Alltag und in ihrer Lebensqualität oft stark eingeschränkt.

Was verursacht am häufigsten neuropathische Probleme? Die Statistik zeigt: Chemotherapie-Medikamente, die zur Gruppe der Platinverbindungen, zu den Taxanen, Vincaalkaloiden gehören, sowie die Substanz Eribulin. Diese Substanzen schädigen häufig bis sehr häufig periphere Nervenbahnen von Krebspatienten.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Patienten bei der Chemotherapie, Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
Manche Krebsmedikamente schädigen die Nerven. Bild: Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum

Konkrete Wahrscheinlichkeitsangaben zu machen, ist schwierig: In der Literatur sind die Zahlenangaben dazu oft uneinheitlich und nicht immer vergleichbar.

Ob bei einem einzelnen Krebspatienten neuropathische Beschwerden auftreten oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab: vom Medikament an sich, aber auch von der jeweiligen Einzeldosis, der Gesamtdosis während der gesamten Behandlung, außerdem von der Infusions- sowie der Behandlungsdauer.
Relevant ist außerdem, ob man verschiedene nervenschädigende Krebsmedikamente in Kombination erhält, etwa Taxane plus Carboplatin. Hinzu kommen individuelle Risikofaktoren, die nichts mit der Krebsbehandlung oder Krebserkrankung zu tun haben.

Das bedeutet: Wer sich über sein individuelles Risiko informieren möchte, sollte mit seinen behandelnden Ärzten sprechen - sie können am ehesten eine Einschätzung geben, weil sie die persönliche Situation und den konkreten Behandlungsplan kennen.

Um welche Medikamente geht es konkret?

Welches Medikament bekomme ich?

Viele Chemos und weitere Krebstherapien bekommt man als Patient direkt in Klinik oder Praxis, zum Beispiel als Mischung in einer Infusion. Wenn Sie deshalb nicht genau wissen, womit Sie behandelt werden – fragen Sie Ihre Ärzte!

Zum Weiterlesen
Nebenwirkungen der Chemotherapie
Zielgerichtete Krebstherapien

Platinhaltige Chemotherapie-Medikamente
Dazu zählen beispielsweise Oxaliplatin, Cisplatin und Carboplatin. Oxaliplatin führt statistisch gesehen bei sehr vielen Patientinnen und Patienten direkt nach der Arzneimittelgabe zu akuten Missempfindungen, insbesondere bei Kälte. Diese bilden sich in der Regel nach einigen Tagen wieder von alleine zurück.
Von länger anhaltenden peripheren Neuropathien nach Oxaliplatin-Gabe sind weniger Patienten betroffen.

Erhalten Patienten Cisplatin, ist die Wahrscheinlichkeit einer Innenohrschädigung hoch. Patienten können Hörstörungen vor allem bei hohen Tönen bekommen, aber auch Ohrgeräusche oder Gleichgewichtsprobleme, weil auch der Gleichgewichtssinn im Innenohr betroffen ist. Häufig kommt es auch zu einem Kribbeln in Händen und Füßen, Koordinationsstörungen oder Gangunsicherheit. Selten kommt es zu vorübergehenden Sehstörungen. Anhaltende Augenschäden sind sehr selten. Ob sich die Hörstörungen durch die Gabe von Natriumthiosulfat verhindern lassen, ist Gegenstand aktueller Forschung. In einer Studie mit krebskranken Kindern ließ sich auf diese Weise das Risiko jedenfalls deutlich reduzieren.

Die Wahrscheinlichkeit, langfristig eingeschränkt zu sein, hängt von der Dosierung des Cisplatins ab. Messbare, anhaltende Beschwerden können bei knapp einem Drittel aller Patienten schon nach einmaliger Gabe auftreten.

Auch bei Carboplatin können ähnliche Beschwerden wie bei Cisplatin auftreten. Nach einer abgeschlossenen Platin-basierten Chemotherapie kann sich bei manchen Betroffenen die Neuropathie noch weiter verschlimmern. Fachleute sprechen vom sogenannten Coasting-Phänomen.

Taxane
Ein Beispiel für ein neurotoxisches Mittel aus dieser Gruppe ist der Wirkstoff Paclitaxel. Missempfindungen aller Schweregrade werden sehr häufig beobachtet.

Vincaalkaloide
Dazu zählen beispielsweise Vincristin, Vinblastin und Vinorelbin. Neuropathien aller Schweregrade treten bei diesen Medikamenten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf.

Weitere Chemotherapie-Medikamente
Noch bei weiteren Chemotherapie-Medikamenten besteht ein gewisses Risiko solcher Beeinträchtigungen. Es ist allerdings deutlich niedriger und die Neuropathien sind weniger ausgeprägt.

Zielgerichtete Medikamente: Chemotherapeutika sind allerdings nicht die einzigen Auslöser von Neuropathien.
Auch einige zielgerichtete Krebsmedikamente können Nervenfasern in ihrer Funktion beeinträchtigen. Dazu zählen beispielsweise Bortezomib und Thalidomid.

Bestrahlung als Auslöser

Eine Bestrahlung kann Nervenbahnen schädigen, die im Bestrahlungsfeld liegen. Vergleichsweise häufig passiert dies, wenn größere Nervengeflechte mit bestrahlt werden müssen. Die Nerven werden dadurch entweder selbst unmittelbar geschädigt, oder das bestrahlte Gewebe verhärtet sich auf Dauer und drückt auf die Nerven.

Ob es zu einer Nervenschädigung kommt und wie schwer diese nach einer Strahlentherapie ausfällt, ist von folgenden Faktoren abhängig:

  • Wie hoch ist die tägliche Dosis der Strahlentherapie, die man erhält?
  • Wie hoch ist die Gesamtstrahlendosis?
  • Erhält man gleichzeitig nervenschädigende Medikamente oder hat früher schon welche bekommen?
  • Liegen Vor- und Begleiterkrankungen vor, die Nervenschädigungen begünstigen?

Weiterführende Informationen finden sich im Text Strahlentherapie: Anwendungsbeispiele und mögliche Nebenwirkungen.

Operation als Auslöser

Bei einer Operation lassen sich Nervenverletzungen nicht immer vermeiden. Auch diese können zu Taubheit oder Missempfindungen in den von den betroffenen Nerven versorgten Bereichen des Körpers führen. Typisches Beispiel sind Gefühlsstörungen, insbesondere in der Haut rund um die Wunde.
Eine Regeneration der verletzten Nerven ist möglich, und bei vielen Betroffenen bessern sich die Beschwerden nach einiger Zeit.

Tumor als Auslöser einer Neuropathie

Neuropathische Schmerzen

Sie sind oft brennend oder stechend. Das unterscheidet sie von den meisten Schmerzen mit anderer Ursache.

Drückt ein Tumor auf Nervenbahnen oder wächst er in diese hinein, werden sie dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt, schlimmstenfalls sogar zerstört. Betroffene empfinden dann oft brennende und stechende Schmerzen. Sie gelten als besonders typische neuropathische Schmerzen.
Wie sich diese von anderen Schmerzen unterscheiden und was man dagegen tun kann, wird in den Texten unter dem Oberbegriff Schmerztherapie bei Krebspatienten näher erläutert.

Lexikon

Periphere Nerven: Nervenbahnen außerhalb von Gehirn und Rückenmark
Vegetatives Nervensystem: Nerven, die nicht willentlich beeinflussbar sind und die inneren Organe steuern
Zentrales Nervensystem: Gehirn und Rückenmark

Peripheres Nervensystem
Von der nervenschädigenden Wirkung der meisten neurotoxischen Therapien sind überwiegend längere periphere Nervenbahnen betroffen. Sie sind für Tastempfinden, Temperaturwahrnehmung und Schmerzweiterleitung zuständig, dementsprechend sehen die Anzeichen einer Schädigung aus.
Je nach Situation werden auch Nerven geschädigt, die die Muskeln stimulieren. Dann kann es zu einer Berührungsüberempfindlichkeit, fehlendem Temperaturempfinden, brennenden Schmerzen, Muskelschwäche oder Taubheit kommen.

Vegetatives Nervensystem
Seltener kommt es nach der Gabe von Krebsmedikamenten zu Nebenwirkungen an sogenannten vegetativen Nerven. Dabei handelt es sich um Nerven, die der Mensch nicht durch seinen Willen beeinflussen kann: Sie steuern beispielsweise innere Organe wie etwa Darm, Blase und Herz-Kreislaufsystem.
Folgen einer Schädigung können beispielsweise anhaltende Verstopfung oder Blutdruckprobleme sein.

Zentrales Nervensystem
Nur vergleichsweise wenige Krebsmittel können sich auf das Gehirn oder Rückenmark auswirken, das sogenannte zentrale Nervensystem. Beispiele dafür sind die Chemotherapie-Medikamente Cytarabin, Ifosfamid oder Methotrexat sowie Platin-Verbindungen.
Wie macht sich das bemerkbar? Betroffene leiden dann unter Umständen an Kopfschmerzen, fühlen sich antrieblos und müde.
Bei den meisten Patienten klingen diese Symptome schnell wieder ab. Ob Patienten nach einer Chemotherapie langfristige Einschränkungen erleben, zum Beispiel in der Merkfähigkeit, ist zurzeit noch unklar und wird in Studien untersucht.

Was ist es eigentlich genau, was vor allem die einzelnen Zytostatika so nervenschädigend macht?
Das Wissen über Schädigungsmechanismen einzelner Chemotherapie-Wirkstoffe ist bislang unzureichend. Aber: Seit einigen Jahren forschen Wissenschaftler immer gezielter nach diesen Ursachen.

Nervenschäden durch Krebsmedikamente

Nervenzelle in Aktion © psdesign1 - stock.adobe.com
Nervenzelle in Aktion © psdesign1 - stock.adobe.com

Fachleute vermuten verschiedene Mechanismen, je nach verwendetem Krebsmedikament: Manche Arzneimittel zerstören die Nervenenden oder die isolierende Hülle um die Nervenzellfortsätze. Oder sie verändern die Kanäle, durch die der Stoffaustausch zwischen Nervenzellen und Gewebe verläuft, und die für die Reizweiterleitung wichtig sind.

Andere Mittel beeinflussen die Funktion von Strukturen im Innern einer Nervenzelle. Dazu zählen beispielsweise Mikrotubuli, als Teil des "Zellskeletts", oder Mitochondrien, die "Kraftwerke" der Zelle.
Wieder andere zerstören kleine Blutgefäße um die Nervenzellen herum, so dass diese nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt sind.

Nervenschäden durch andere Ursachen

Schäden an den peripheren Nerven können aber auch indirekt entstehen, nicht nur durch den Einfluss von Krebsmedikamenten. Ursache ist dann meist eine Beeinträchtigung des gesamten umliegenden Gewebes. Dies ist zum Beispiel bei strahlenbedingten Haut- und Gewebeverhärtungen der Fall, einer "Sklerosierung".
Eine Chemotherapie kann sich nicht nur auf die Nerven direkt, sondern auch auf die Blutversorgung auswirken: Ist sie vermindert, leidet das gesamte betroffene Gewebe mitsamt den Nerven.
Aber auch wenn der Tumor wächst und dadurch von außen auf Nervengewebe drückt, kann Nervengewebe zerstört oder geschädigt werden.

Ob Nerven geschädigt werden und wenn ja, wie schwer, können Ärzte im Vorfeld einer Krebsbehandlung nicht immer abschätzen. Folgende Fragen kann man als Patient zur Vorbereitung eines Gesprächs nutzen. Sie helfen, mehr Klarheit über das eigene Risiko zu bekommen:

  • Sind die Krebsmedikamente, die für meine Behandlung infrage kommen, nervenschädigend?
  • Lässt sich die Gefahr einer Neuropathie vermindern, etwa durch eine geringere Medikamentendosis oder die Wahl eines anderen Medikaments? Welche Konsequenzen hätte das für den Erfolg meiner Behandlung?
  • Kommt eine Bestrahlung hinzu? Wird dadurch das Risiko einer Neuropathie höher? Werden gleichzeitig weitere nervenschädigende Behandlungen eingesetzt?
  • Bestehen bei mir Begleiterkrankungen, die Schäden an Nervenbahnen hervorrufen können? Sehen Sie bei mir bereits Anzeichen einer Neuropathie? Wie beeinflussen diese mein Risiko für eine weitere Nervenschädigung durch die Krebsbehandlung?
Ärztin und Patient im Gespräch, Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
Nutzen und Risiken einer Veränderung der Therapie bei Nervenschäden sollte man mit Arzt oder Ärztin besprechen. Bild: Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum

Kein nervenschädigendes Medikament einsetzen
Bei den meisten Krebsmedikamenten mit nervenschädigender Wirkung ist nach wie vor die sicherste Vorbeugung der Beschwerden der Wechsel auf ein weniger oder gar nicht neurotoxisches Präparat. Dies ist allerdings nicht bei allen Krebspatienten möglich, ohne dadurch die Heilungschancen drastisch zu verringern.

Niedrige Dosierung
Bei ersten Anzeichen neuropathischer Symptome verringern Ärzte nach Möglichkeit die Chemotherapie-Dosis. Verschlimmern sich die belastenden neurologischen Symptome trotzdem, kann bei manchen Patienten auch ein Abbruch der Behandlung notwendig werden. Unter Umständen kann auch eine längere Therapiepause Abhilfe schaffen.

Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen
Vor allem bei einer Krebstherapie mit Aussicht auf Heilung sollten Patienten und Ärzte gemeinsam Nutzen und Risiken dieser Maßnahmen diskutieren.
Folgende Fragen lassen sich nur individuell beantworten:

  • Wie stark würden mich langfristig die Nervenschäden belasten und in meinem Alltag einschränken?
  • Welchen Einfluss haben die Beschwerden auf meine Lebensqualität?
  • Welches Risiko wiegt für mich schwerer: die Möglichkeit einer Neuropathie durch die Krebstherapie? Oder das Risiko, dass meine Heilungschancen sinken, wenn die Dosis verringert wird, eine Therapiepause eingelegt oder auf ein anderes, weniger wirksames Medikament gewechselt werden müsste?

Nervenschützende Medikamente zur Vorbeugung?

Weitere Forschung nötig

Bislang ist es nicht möglich, nervenschädigenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie mit Medikamenten vorzubeugen.

Wissenschaftler suchen seit Jahren nach Medikamenten, die Nervenschädigungen verhindern oder wenigstens lindern. Optimal wären nervenschützende Substanzen, die Betroffene vor einer Chemotherapie bekommen könnten. Bislang gibt es jedoch kein solches Medikament.

Was wird beforscht?
Mittel wie Acetylcystein, Alpha-Liponsäure, Glutathion, Amifostin, Calcium, Magnesium, Carbamazepin, Vitamin E und weitere Substanzen wurden und werden in Studien untersucht. Ein überzeugender Beleg für ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit steht jedoch noch aus.
Eine aktuelle Leitlinie rät daher: Acetylcystein, Alpha-Liponsäure, Glutathion sollen nicht zur Vorbeugung von Chemotherapie-bedingten Nervenschäden eingesetzt werden. Auch Amifostin, Calcium, Magnesium, Carbamazepin, Vitamin E sollen nicht zum Einsatz kommen.

Ähnlich sieht es mit dem Schutz vor Hörproblemen aus: Auch Medikamente, die Patienten vor Chemotherapie-bedingten Hörstörungen schützen, sind Gegenstand der aktuellen Forschung.

Ergotherapie, Elektrotherapie, sensomotorisches Training, Vibrationstraining zur Vorbeugung?
Die Medizin kennt eine Reihe von Möglichkeiten, den Tastsinn oder allgemein die Reizweiterleitung über die Haut zu stimulieren. Eine aktuelle Leitlinie zählt einige Beispiele auf:
Dazu gehören etwa ergotherapeutische Übungen im sogenannten "Bohnenbad", einer Wanne gefüllt mit Bohnen, anderen Körnern oder kleinen Bällen; oder auch eine Elektrotherapie, mit der die Nerven gezielt angeregt werden. Doch ob diese Anwendungen einen Nutzen schon zur Vorbeugung einer Nervenschädigung haben, ist derzeit ungeklärt. Laut der Leitlinie können sie zum Einsatz kommen, wenn dadurch keine Hautschäden entstehen oder bestehende Hautprobleme verstärkt werden.
Ebenfalls noch nicht zur Vorbeugung belegt: ein gezieltes sensomotorisches Training durch Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten oder ein Vibrationstraining mit dafür geeigneten Geräten.
Um die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit solcher Verfahren zu belegen, müssen erst noch aussagekräftige Studien zum Thema durchgeführt werden.

Kältehandschuhe und -socken zur Vorbeugung?
Geprüft wird in Studien außerdem, ob sich periphere Nervenschäden vermeiden lassen, wenn man während der Infusion von Zytostatika die Blutzufuhr in den besonders empfindlichen Händen drosselt. Die Idee dahinter: So sollen die Medikamente gar nicht erst an die Nerven gelangen. Dies lässt sich zum Beispiel durch Unterkühlung mittels besonderer "Eis"- oder Kühlhandschuhe und -socken erreichen.
Noch sind Fragen zum Nutzen und auch zu möglichen Risiken offen.

Ist das Risiko für eine Neuropathie hoch? Ganz allgemein rät eine aktuelle Leitlinie Betroffenen dann zu regelmäßigen Bewegungsübungen. Das Ziel: Man erhält damit Finger und Zehen beweglich und trainiert Koordination und Gleichgewicht.

Um etwa kurzfristigen kältebedingten Reaktionen durch Oxaliplatin vorzubeugen, empfehlen Fachleute Betroffenen: schon bei milderen Temperaturen dicke Handschuhe, warme Socken und Schuhe anziehen und einen zu langen Aufenthalt in der Kälte vermeiden.

Wie viel Schutz bieten Bewegung und angemessene Kleidung? Die Wirksamkeit dieser und ähnlicher Maßnahmen ist nicht durch wissenschaftliche Studien belegt. Sie basieren vielmehr auf dem Erfahrungswissen von Fachleuten.

Hilft eine zusätzliche Versorgung mit Vitalstoffen? Vitamine und andere Nahrungsergänzungsmittel sollte man während der Krebsbehandlung grundsätzlich nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt einnehmen – ihr Nutzen ist nicht belegt.

Ganz allgemein gilt:

  • Sie möchten selbst aktiv werden und sich vor einer Neuropathie schützen? Sprechen Sie mit Ihren Ärzten und den zuständigen Pflegefachkräften ab, worauf Sie achten sollten, was Ihnen hilft und was Ihnen schaden könnte.
Patient berät sich mit seinem Arzt. Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum
Lassen Sie sich von Ihrem Arzt über mögliche Nervenschädigungen aufklären. Tobias Schwerdt © Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum

Die Frage, ob es Anzeichen für eine Neuropathie gibt, wird vor einer Chemotherapie erstmals geprüft und dann möglichst bei jedem weiteren Behandlungszyklus erneut.

Dazu gehört zunächst das Gespräch zur bisherigen Krankengeschichte. Zudem erkundigen sich Arzt oder Ärztin, ob man Beschwerden hat, die auf Nervenschäden oder Hörstörungen hinweisen.

Je nach Situation findet anschließend eine körperliche Untersuchung statt. Dabei prüfen die Fachleute Reflexe und Bewegungsabläufe. Wie man Schmerzen oder Berührungen wahrnimmt, wird beispielsweise mit einer Nadel oder einem Pinsel getestet. Bei Patienten, die stark nervenschädigende Chemotherapie-Regime erhalten, können die Ärzte zum Beispiel vor und nach den einzelnen Behandlungszyklen das Vibrationsempfinden oder den die Reflexe prüfen.

Um zu sehen, wie stark eine Neuropathie die Lebensqualität verändern könnte, bitten die Ärzte je nach Situation Betroffene auch, einen Fragebogen auszufüllen.

Welche weiteren Untersuchungsverfahren zum Einsatz kommen können, wenn es tatsächlich Anzeichen einer Nervenschädigung gibt, erfahren Interessierte im Beitrag Neuropathie bei Krebspatienten – Beschwerden lindern.



Eine Übersicht der genutzten Quellen und Hinweise auf weiterführende Fachinformationen zum Thema findet sich im Kapitel Neuropathie bei Krebspatienten - Beschwerden lindern unter dem Stichwort "Quellen und Links für Interessierte und Fachkreise".

Erstellt: 19.01.2018

Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Internet-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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