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Was ist dran: Krebsrisiko durch Brustimplantate?

In einzelnen Fällen führen Implantate mit aufgerauter Oberfläche zu seltenen Lymphomen

Die FDA (U.S. Food and Drug Administration) hat im März 2018 neue Informationen zum Brustimplantat-assoziierten anaplastischen, großzelligen Lymphom (BIA-ALCL) veröffentlicht. Demnach wurden in den USA bislang 414 Fälle dieses sehr seltenen Lymphom-Typs gemeldet. Um eine Vorstellung von dieser Zahl zu bekommen: Im Jahr 2010 gab es in den USA bereits über 5 Millionen Frauen mit Brustimplantaten. Der FDA fiel auf, dass das BIA-ALCL häufiger bei Patientinnen auftritt, bei denen ein Brustimplantat mit aufgerauter Oberfläche verwendet wurde. Auch in Deutschland ist das BIA-ALCL meldepflichtig: Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lagen bis Ende 2017 jedoch nur 7 Meldungen eines implantatassoziierten Lymphoms vor. krebsinformationsdienst.med fasst für Sie die Hintergründe zusammen.

Was ist das Brustimplantat-assoziierte Lymphom?

Das BIA-ALCL ist kein Brustkrebs, sondern ein seltener Subtyp des T-Zell-Lymphoms. Noch Jahre nach dem Einsetzen des Implantats kann diese Tumor-Art in der Kapsel des Brustimplantats oder in unmittelbarer Nähe zum Implantat auftreten. Im Schnitt wird die Erkrankung nach 8-10 Jahren festgestellt. Weniger als 1 von 100.000 Frauen mit einem Implantat erkrankt pro Jahr an einem BIA-ALCL, schätzt die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO). Andere Quellen nennen sogar noch niedrigere Zahlen und sprechen von etwa 3 von 100 Millionen Erkrankten pro Jahr.

Dieses sehr geringe Risiko besteht generell für alle, die sich ein Implantat einsetzen lassen – unabhängig davon, ob aufgrund einer Brustrekonstruktion nach Krebs, aus kosmetischen Gründen oder im Rahmen einer Geschlechtsumwandlung. Abhängig scheint das Erkrankungsrisiko von der Oberflächenstruktur des Implantats zu sein.

Brustimplantate – Woraus bestehen sie?

Auf einem Tisch liegen mehrere Brustimplantate aus Silikon, die eine raue Oberfläche haben.
Brustimplantate aus Silikon © Philippe Spitalier, Unsplash

Brustimplantate können aus verschiedenen, bioverträglichen Materialien bestehen. Gefüllt sind die meisten in Deutschland verwendeten Brustimplantate mit Silikongel. Es gibt aber auch Implantate mit Kochsalzfüllung. In Europa werden vor allem Silikonimplantate verwendet, nur etwa jedes 10. Brustimplantat enthält eine physiologische Kochsalzlösung. In den USA kommen beide Füllungen etwa gleich häufig zum Einsatz.

Die Hülle der Implantate besteht in der Regel aus Silikon. Unterschiede gibt es jedoch in der Beschaffenheit der Oberfläche: Brustimplantate können entweder eine glatte oder eine aufgeraute, sogenannte texturierte Oberfläche haben. Implantate mit einer aufgerauten Oberfläche verbinden sich besser mit dem Bindegewebe. Das verhindert ein Verschieben des Implantats und reduziert das Risiko für schmerzhafte Verhärtungen rund um die Implantate, sogenannte Kapselfibrosen. Möglicherweise fördert eine aufgeraute Oberfläche jedoch die Entwicklung eines BIA-ALCL.

BIA-ALCL – Wie hoch ist das Risiko?

Laut des wissenschaftlichen Ausschusses der Europäischen Kommission SCHEER (Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks) deuten die derzeit verfügbaren Informationen darauf hin, dass Frauen mit Brustimplantaten ein sehr geringes, aber erhöhtes Risiko für ein BIA-ALCL haben. Das Expertenkomitee betont, dass die in der wissenschaftlichen Literatur und von Behörden ermittelten Zahlen variieren.

Bei den BIA-ALCL-Fällen, die der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA gemeldet wurden, fällt auf, dass die meisten Betroffenen ein Implantat mit aufgerauter Oberfläche trugen. Auf Grundlage der wissenschaftlichen Literatur und der gemeldeten Erkrankungsfälle schätzt die FDA das Risiko für ein BIA-ALCL bei aufgerauten Implantaten auf 1 von 3.817 bis 1 von 30.000. Die Behörde merkt allerdings an, dass die genaue Anzahl der BIA-ALCL-Fälle momentan (noch) schwierig zu bestimmen ist. Meldungen zu Erkrankungsfällen sind zum Teil unvollständig oder ungenau. Nicht in jedem Fall liegen Informationen zur Oberflächenbeschaffenheit der verwendeten Implantate vor.

  • Von 414 BIA-ALCL-Fällen, die die FDA bis zum 30.09.2017 erfasst hatte, lagen in 272 Fällen Informationen zur Oberflächenstruktur des Implantats vor.
  • Von diesen 272 hatten 242 Implantate eine aufgeraute und nur 30 eine glatte Oberfläche.
  • Die Füllung des Implantats scheint dagegen keinen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko zu haben: In 234 von 413 berichteten BIA-ALCL-Fällen waren die Implantate mit Silikon gefüllt, in 179 Fällen enthielten sie eine Kochsalzlösung.

In Deutschland erfasst das BfArM aufgetretene Fälle

In Deutschland erfasst das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachgewiesene BIA-ALCL-Fälle, aber auch bereits Verdachtsfälle können gemeldet werden. Mit einem seit Mitte Mai 2018 verfügbaren zusätzlichen Meldebogen können Ärzte und andere professionelle Anwender nun detaillierte Angaben wie beispielsweise zum Brustimplantat machen. Ziel ist es, die in Deutschland aufgetretenen Fälle zentral zu erfassen und die Risikobewertung im internationalen Austausch mit Behörden und Fachgesellschaften voranzutreiben. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen e. V. (DGPRÄC) hat das BfArM einen neuen Meldebogen erstellt: www.bfarm.de/SharedDocs/Formulare/DE/Medizinprodukte/BIA-ALCL-Meldung.pdf;jsessionid=44201318A08F26F699DB42F62368E7C4.2_cid354?__blob=publicationFile&v=3.

Das zeigt die derzeitige Studienlage

Bei den bisherigen Publikationen zum Erkrankungsrisiko an einem Brustimplantat-assoziierten Lymphom handelt es sich um Fallberichte, um Beobachtungsstudien und um systematische Auswertungen der verfügbaren Literatur. Die Datenlage deutet darauf hin, dass ein BIA-ALCL häufiger bei Implantaten mit einer texturierten Oberfläche vorkommt als bei solchen mit einer glatten Oberfläche.

  • Laut einer weltweiten Literaturrecherche aus dem Jahr 2015 beläuft sich das Risiko für die seltene Lymphomerkrankung bei Trägerinnen eines Implantats auf 1 je 500.000 bis 1 je 3.000.000. Erkrankte Frauen, bei denen nähere Informationen zum Implantat vorlagen, hatten alle ein texturiertes Implantat erhalten1.
  • Autoren einer rückblickenden Beobachtungsstudie errechneten, dass 33 von 1 Million Frauen, die ein texturiertes Implantat tragen, an einem BIA-ALCL erkrankt sind. In ihrer Auswertung berücksichtigten sie alle zwischen 1996 und 2015 in den USA dokumentierten BIA-ALCL-Fälle2.
  • Auch in einer epidemiologischen Studie aus den Niederlanden traten die meisten Fälle bei Implantaten mit texturierter Oberfläche auf. Anhand der aufgetretenen Fälle berechneten die Autoren für 50-Jährige ein absolutes Risiko von 29 BIA-ALCL-Fällen pro 1 Million Frauen mit Implantaten (unabhängig von der Oberfläche), für 70-Jährige ein Risiko von 82 pro 1 Million3.

Daten einer epidemiologischen Studie aus Australien und Neuseeland deuten darauf hin, dass das Ausmaß der Strukturierung eine Rolle für das Erkrankungsrisiko spielt. Die Oberfläche von Implantaten kann unterschiedlich stark strukturiert sein. Sehr stark strukturierte Oberflächen, das heißt, Implantate mit einer insgesamt größeren Oberfläche, scheinen das BIA-ALCL Risiko besonders deutlich zu erhöhen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Ein BIA-ALCL tritt gemessen daran, wie viele Frauen heutzutage Brustimplantate tragen, sehr selten auf. Der Verlauf ist zudem vorwiegend gutartig, die Prognose gut. Wer Brustimplantate in Erwägung zieht – sei es aus medizinischen oder aus ästhetischen Gründen –, sollte laut FDA zuvor mit einem Arzt über die Risiken und Vorteile von Implantaten mit aufgerauter und von Implantaten mit glatter Oberfläche sprechen. Kommt es doch zu dem seltenen Fall eines BIA-ALCL, reicht es Experten zufolge meistens aus, das Implantat, die Kapsel und den Tumor zu entfernen. Eine systemische Therapie ist nur bei einzelnen Patientinnen nötig.

Wenn es keinerlei Anzeichen für ein BIA-ALCL gibt, ist es nicht notwendig, sich Brustimplantate prophylaktisch entfernen zu lassen – so ein Rat der FDA.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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