Polyneuropathie bei Krebs vorbeugen

Aktualisierte Leitlinie empfiehlt Kryotherapie und Kompression

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Eine Nervenschädigung gilt als gefürchtete Nebenwirkung der Chemotherapie. Die aktualisierte Supportiv-Leitlinie rät bei einer Taxan-Therapie zur Vorbeugung. Wir informieren über die neuen Empfehlungen.

Eine Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie (CIPN) aufgrund einer Krebsbehandlung wirkt sich erheblich auf die Lebensqualität von Krebsbetroffenen aus. Besonders an den Händen und Füßen treten dosisabhängig Missempfindungen, Taubheitsgefühl, motorische Schwächen und Funktionsverluste sowie Schmerzen auf. Diese können auch nach Therapieende andauern und Krebspatienten und Krebspatientinnen deutlich bei ihren Alltagsaktivitäten einschränken. Auch wenn Ergebnisse großer, aussagekräftiger Studien noch ausstehen, sollen Maßnahmen ergriffen werden, um Schädigungen an den Nerven der Extremitäten soweit wie möglich zu verringern.

Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie (CIPN)

Die CIPN ist eine häufige Nebenwirkung bei Behandlung mit neurotoxischen Krebsmedikamenten. Dazu zählen insbesondere Taxane, Platin-Derivate, Vinca-Alkaloide, Bortezomib und Thalidomid. Da CIPN mittlerweile ein feststehender Begriff ist, wird dieser auch für Arzneimittel wie zum Beispiel Bortezomib und Thalidomid verwendet, obwohl es sich hierbei nicht um klassische Chemotherapeutika handelt.

Junge Frau reibt sich die Hände
Bei einer peripheren Neuropathie kann es zu Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühlen in den Händen kommen.
Bild: © Image Point Fr, Shutterstock

Neuropathische Schäden früh erkennen und behandeln

Um eine Neuropathie frühzeitig zu erkennen, sind vor Beginn und nach jedem Behandlungszyklus neurologische Untersuchungen erforderlich. 

  • Bereits bei ersten Anzeichen kann auf die Beschwerden eingegangen werden, indem – wenn möglich – die Therapie angepasst wird, beispielsweise durch Dosisreduktion, Medikamentenwechsel und/oder längere Therapiepausen.
  • Krebsbetroffene können von einem frühzeitig begonnenen und regelmäßigen Bewegungstraining gegen Funktionsverluste profitieren. 

Prophylaxe mit Kälte und Kompression

Als eine weitere vorbeugende Option gegen CIPN nennt die im April 2025 aktualisierte und erweiterte S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen die Anwendung von Kälte und Kompression während einer Krebsbehandlung mit zum Beispiel Paclitaxel oder Docetaxel1. Auch wenn die Datenlage hierzu nicht eindeutig ist, konnte dies in einigen Studien die Häufigkeit und den Schweregrad der Neuropathie senken.

Beide Verfahren, Kryotherapie und Kompression, wurden in den letzten Jahren allein oder in Kombination vor allem bei Brustkrebspatientinnen untersucht, die ein Taxan erhielten. 

Kryotherapie mit Kühlhandschuhen und Kühlsocken

Kälteanwendungen an Händen und Füßen verengen die Gefäße. Man geht davon aus, dass eine Kryotherapie, die zeitgleich zur Gabe der Chemotherapie durchgeführt wird, die Aufnahme des Chemotherapeutikums in Fingern und Zehen verringert. Dies beugt Schädigungen feinster Strukturen in den Händen und Füßen vor.

Eingesetzt werden für die Kryotherapie zum Beispiel aufwendig vorbereitete Kühlhandschuhe und Kühlsocken. Patientinnen und Patienten tragen diese nicht nur während der Chemotherapie-Gabe, sondern auch 15 bis 30 Minuten davor und danach. Um die notwendige niedrige Temperatur zu halten, ist im Verlauf der Behandlung ein Wechsel auf ein weiteres Paar vorgekühlter Handschuhe und Socken notwendig. In einigen Studien wurde die Kühlung nur mit Eisbeuteln oder Eimern mit Eiswasser durchgeführt, in anderen mit einer aufwendigen Apparatur, die für kontinuierliche Kühlung sorgte.

Kompression mit Handschuhen und Strümpfen

Empfehlungen internationaler Leitlinien zur Neuropathie

Die Leitlinie der US-amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (American Society of Clinical Oncology: ASCO) aus dem Jahr 2020 gibt im Hinblick auf eine Vorbeugung von Neuropathie weder für Kryotherapie noch für Kompression eine Empfehlung ab2

Die Leitlinie verschiedener europäischer onkologischer Gesellschaften (European Society for Medical Oncology: ESMO, European Oncology Nursing Society: EONS, European Association of Neuro-Oncology: EANO) von 2020 nennt mangels Optionen die Kryotherapie und Kompression mit einem eingeschränkten Empfehlungsgrad3.

Ein weiterer Ansatz ist die mechanische Kompression, die praktisch leichter umsetzbar ist. Dabei tragen Betroffene eng anliegende chirurgische Handschuhe (kleiner als die eigentliche Handgröße) und Kompressionsstrümpfe. Durch die Verengung der Gefäße soll auch mit dieser Methode die neurotoxische Schädigung minimiert werden.

Die Verfahren sind derzeit nicht standardisiert; in den Studien waren die Durchführung und die herangezogenen Kontrollen sehr unterschiedlich. Studien, in denen Kryotherapie direkt mit Kompression verglichen wurde, zeigen eine ähnlich gute Verringerung der neurologischen Beschwerden. Aktuell laufen weitere Studien zur Kälte- und Kompressionstherapie. 

Weitere Studien und Empfehlungen bei speziellen Tumorerkrankungen

Gastrointestinale Tumoren: Studien zur Anwendung von Kryotherapie und Kompressionsbehandlung liegen nicht nur für Brustkrebspatientinnen unter einer Taxan-Therapie vor. Es gibt auch Daten zur Behandlung mit Oxaliplatin bei gastrointestinalen Tumoren4,5. Die Datenlage wird in der Leitlinie Supportivtherapie 2025 jedoch als nicht ausreichend für eine Empfehlung beschrieben.

Harnblasenkarzinom: Die deutsche S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom, veröffentlicht im März 2025, geht noch weiter: Auch wenn zur Wirksamkeit einer Handkühlung bei Behandlungen des Harnblasenkarzinoms, wie mit Vinblastin, Cisplatin, Carboplatin oder Enfortumab Vedotin, bisher keine aussagekräftigen Studiendaten vorliegen, kann diese dennoch erwogen werden. Laut der Leitlinie ist eine Kompressionsbehandlung mit chirurgischen Handschuhen aufgrund der einfachen und kostengünstigen Durchführung ebenfalls möglich6.

Brustkrebs: Auch die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO), Kommission Mamma, beurteilt die Kryotherapie (mit Kühlhandschuhen und Kühlstrümpfen) sowie die Kompressionstherapie (mit chirurgischen Handschuhen und Kompressionsstrümpfen) als Maßnahmen mit begrenztem Nutzen, die durchgeführt werden können (+ Empfehlung)7. Sie setzt diese mit den Empfehlungen zum Funktionstraining von Händen und Füßen gleich. 

Gibt es Nebenwirkungen?

Nicht alle Krebsbetroffenen tolerierten die Kälteanwendung in den Studien. Chan et al. 2022 geben an, dass als häufigste Nebenwirkung von Kälte und Kompression Hautrötungen und -irritationen sowie Taubheitsgefühle und Kribbeln bei etwa einem Viertel der Patientinnen und Patienten beobachtet wurden8. Erfrierungen und Blasen durch Kälte traten deutlich seltener auf.

Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen

Quellen

1 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. Langversion 2.0, 2025. AWMF-Registernummer: 032-054OL. Zugriff am 16.05.2025.

2 Loprinzi CL, Lacchetti C, Bleeker J, Cavaletti G, Chauhan C, Hertz DL, Kelley MR, Lavino A, Lustberg MB, Paice JA. Prevention and Management of Chemotherapy-Induced Peripheral Neuropathy in Survivors of Adult Cancers: ASCO Guideline Update. J Clin Oncol. 2020 Oct 1;38(28):3325-3348. doi: 10.1200/JCO.20.01399. 

3 Jordan B, Margulies A, Cardoso F, Cavaletti G, Haugnes HS, Jahn P, Le Rhun E, Preusser M, Scotté F, Taphoorn MJB et al. Systemic anticancer therapy-induced peripheral and central neurotoxicity: ESMO-EONS-EANO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, prevention, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2020 Oct;31(10):1306-1319. doi: 10.1016/j.annonc.2020.07.003. 

4 Beijers AJM, Bonhof CS, Mols F, Ophorst J, de Vos-Geelen J, Jacobs EMG, van de Poll-Franse LV, Vreugdenhil G. Multicenter randomized controlled trial to evaluate the efficacy and tolerability of frozen gloves for the prevention of chemotherapy-induced peripheral neuropathy. Ann Oncol. 2020 Jan;31(1):131-136. doi: 10.1016/j.annonc.2019.09.006.

5 Coolbrandt A, Tobback H, Govaerts R, Vandezande L, Vinckx M, Laenen A, Wildiers H, Verslype C, Dekervel J, Van Herpe F et al. A randomized controlled trial of hand/foot-cooling by hilotherapy to prevent oxaliplatin-related peripheral neuropathy in patients with malignancies of the digestive system. ESMO Open. 2023 Apr;8(2):101205. doi: 10.1016/j.esmoop.2023.101205.

6 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms. Langversion 3.0, 2025. AWMF-Registernummer: 032-038OL. Zugriff am 16.05.2025.

7 Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO), Empfehlungen gynäkologische Onkologie Kommission Mamma. Stand: 07.05.2025.  

8 Chan A, Elsayed A, Ng DQ, Ruddy K, Loprinzi C, Lustberg M. A global survey on the utilization of cryotherapy and compression therapy for the prevention of chemotherapy-induced peripheral neuropathy. Support Care Cancer. 2022 Dec;30(12):10001-10007. doi: 10.1007/s00520-022-07383-x. 

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