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Hörverlust bei Krebs

Ein unterschätztes Problem?

Eine Krebstherapie, zum Beispiel eine Chemotherapie mit Cisplatin, kann Ursache für einen ein- oder beidseitigen Hörverlust sein. Daher ist es wichtig, das Hörvermögen bei Krebspatientinnen und -patienten zu testen.

Eine Person hält ihre Handfläche hinter das Ohr, um besser zu hören.
Krebskranke Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Schwerhörigkeit. © Tatiana, Istock

Laut dem Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte hat in Deutschland ungefähr jeder zweite Erwachsene ab dem 65. Lebensjahr ein eingeschränktes Hörvermögen (Schwerhörigkeit, Hypakusis). Klinische Studien1 zeigen, dass Krebspatientinnen und -patienten deutlich häufiger schwerhörig sind als die Allgemeinbevölkerung.

Verschiedene Krebstherapien können Ursache für Schwerhörigkeit sein, etwa lokale Therapien im Bereich des Hörsystems (Operation, Bestrahlung) oder systemische Behandlungen wie Cisplatin-basierte Chemotherapien. Im Folgenden geht es in erster Linie um den Cisplatin-induzierten Hörverlust bei erwachsenen Patienten.

Warum auf Hörverlust achten wichtig ist

Hörverlust bei Krebsbetroffenen entwickelt sich oftmals unbemerkt. Kommt es zu einer krebsbedingten Hörstörung, ist sie meist bleibend und betrifft beide Ohren. Auch spielt das Alter eine Rolle, da viele krebskranke Menschen älter als 65 sind. Schwerhörigkeit kann die Lebensqualität mindern, beispielsweise indem sie

  • die Kommunikation mit anderen Menschen beeinträchtigt und soziale Interaktionen begrenzt,
  • Ängste, Depressionen und Fatigue auslöst,
  • zu Unsicherheiten bei der Bewältigung des Alltags führt und der Grund für einen vorzeitigen geistigen Abbau sein kann.

Cisplatin ist häufig ototoxisch

Die Cisplatin-basierte Chemotherapie ist eine wichtige Therapiesäule bei einer ganzen Reihe von Tumorarten: etwa bei Lungen-, Harnblasen-, Hoden-, Gebärmutterhals- und Eierstockkrebs sowie bei Kopf-Hals-Tumoren. Neben einer möglichen Nierenschädigung (Nephrotoxizität) steht die Ototoxizität als häufige Nebenwirkung von Cisplatin im Vordergrund. Darunter versteht man die Schädigung des Innenohrs.

Das Innenohr ist sowohl für den Hörsinn als auch für den Gleichgewichtssinn zuständig. Die pathophysiologischen Mechanismen, wie Cisplatin das Innenohr schädigt, sind komplex. Im Detail sind sie noch nicht vollständig geklärt.2,3

Symptome können Schwerhörigkeit, Ohrgeräusche (Tinnitus), aber auch Störungen des Gleichgewichts mit Schwindel und erhöhtem Sturzrisiko sein.

Hörverlust durch Cisplatin: Wirkmechanismus

Was passiert in der Cochlea?

In der Cochlea gibt es unterschiedliche Zelltypen. Sie haben verschiedene Aufgaben, von der Schallwahrnehmung und Schallverstärkung bis zur Weiterleitung von Nervenimpulsen ins Gehirn. Eine wichtige Funktion haben die äußeren Haarzellen. Sie übermitteln hohe Tonfrequenzen (4.000 bis 8.000 Hertz).

Viele Patientinnen und Patienten möchten verstehen, wie Ototoxizität entsteht und wissen, ob sich die Hörminderung nach Therapieende weiter verschlechtern kann. Informationen zum Thema und Aufklärung können dazu beitragen, Betroffenen Ängste zu nehmen.

Im Vergleich zu anderen Platinderivaten gelangen Cisplatin-Moleküle besonders gut von der Blutbahn in die Gehörschnecke (Cochlea) des Innenohrs (siehe Infobox).

Die äußeren Haarzellen sind der erste Angriffspunkt von Cisplatin. Durch die Bildung freier Radikale werden die DNA im Zellkern und die Mitochondrien im Zytoplasma geschädigt: Die zytotoxische Wirkung führt zum Zelltod. Dieser und weitere Mechanismen führen dazu, dass Cisplatin oftmals das Sprachverstehen im Hauptsprechbereich einschränkt (500 bis 6.000 Hertz).

Cisplatin-bedingte Ototoxizität ist abhängig von

  • der Dosis pro Infusion,
  • der Gesamtdosis und
  • weiteren Faktoren (siehe unten).

Bei manchen Krebsarten ist es möglich, die Cisplatin-Dosis anzupassen, das Chemotherapie-Schema zu ändern oder auf gleich wirksame, alternative Medikamente auszuweichen – bei anderen jedoch nicht (zum Beispiel Hodenkrebs).

In der Regel ist der Hörverlust permanent, beidseitig und weitgehend irreversibel. Bei Betroffenen, die im Erwachsenenalter an Krebs erkrankt sind und mit Cisplatin behandelt wurden, kann er innerhalb der ersten 10 Jahre nach Therapieende fortschreiten – so das Ergebnis einer norwegischen Langzeitstudie3. Nimmt die Leistungsfähigkeit des Gehörs danach weiter ab, liegt die Ursache im natürlichen Alterungsprozess.

Selten wird auch ein plötzlicher Hörverlust unter Cisplatin-Gabe nur auf einem Ohr beobachtet (bei 2 bis 10 Menschen pro 100.000 pro Jahr). Als mögliche Ursache kommt ein akuter Gefäßverschluss im Innenohr infrage.

Hörverlust bei Krebskranken diagnostizieren

Bevor Betroffene selbst (subjektiv) einen Hörverlust bemerken, kann man Hörstörungen zum Beispiel mittels Audiometrie objektiv feststellen. So empfiehlt die S1-Leitlinie "Langzeit-Nachsorge bei krebskranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen"4: Erhalten diese jungen Betroffenen Cisplatin, sollten als Basis-Untersuchung während und nach der Therapie regelmäßig Audiogramme durchgeführt werden, um therapiebedingte Langzeitfolgen am Gehör zu vermeiden, zu erkennen und zu behandeln.

Für ältere Betroffene existiert bislang keine entsprechende Leitlinie. Trotzdem gibt es gleichlautende Empfehlungen für ältere Krebspatienten. Zwei Beispiele:

  • Die Fachinformation von Cisplatin fordert sorgfältige audiometrische Kontrollen, bevor eine Cisplatin-Therapie beginnt sowie vor jedem neuen Chemotherapie-Zyklus.
  • Die S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom5 stuft Patienten und Patientinnen ein: in solche, für die eine Cisplatin-Chemotherapie geeignet ist, und solche, die kein Cisplatin erhalten sollen. Ist initial bereits ein Hörverlust vom Schweregrad 2 oder höher bekannt, so ist Cisplatin nicht für die Betroffenen geeignet. Definiert wird der Grad des Hörverlusts nach den Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE) des National Cancer Institutes (NCI) – anhand der Audiometrie.

Wie Hörverlust bei Krebs mindern?

Man unterscheidet beeinflussbare Faktoren und solche, die man nicht selbst verändern kann. Zu den nicht-beinflussbaren Faktoren gehören beispielsweise Alter, Begleiterkrankungen (wie Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, arterielle Hypertonie) oder eine genetische Prädisposition, die eine Schwerhörigkeit wahrscheinlicher machen. Einfluss nehmen können Betroffene auf ihre Hörfähigkeit, indem sie sich

  • vor Lärm schützen und Hörgeräte tragen,
  • einen gesunden Lebensstil einhalten und
  • andere ototoxische Substanzen möglichst vermeiden (zum Beispiel manche Antibiotika und Diuretika).

Wichtig zu wissen: Für erwachsene Krebspatienten und -patientinnen stehen derzeit keine zugelassenen otoprotektiven Medikamente zur Verfügung. Geforscht wird allerdings an einer ganzen Reihe von Strategien6, um künftig einen Cisplatin-induzierten Hörverlust vermeiden beziehungsweise behandeln zu können.

Fazit für die Praxis

Subjektiver Hörverlust: Im Rahmen der Anamnese sollten Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten fragen, ob sie Hörprobleme, einschließlich Tinnitus, bemerkt haben und ein Hörgerät tragen. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn eine das Gehör schädigende Tumortherapie geplant ist. Krebserkrankte sollten sich trauen, ihrem Behandlerteam über ihren Hörverlust zu berichten. Denn viele ältere Menschen bringen altersbedingt bereits vor Behandlungsbeginn eine Hörminderung mit.

Objektiver Hörverlust: Vor Beginn einer ototoxischen Behandlung ist es wichtig, ausführlich über Effektivität, mögliche Nebenwirkungen und Symptome einer Hörstörung aufzuklären. Darüber hinaus ist es sinnvoll, bei Fachleuten wie Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und Audiologen die Ausgangs-Hörfähigkeit zu testen sowie während der Therapie und in der Nachsorge das Gehör regelmäßig zu überprüfen. Bei Schwerhörigkeit sollten nicht nur die Betroffenen Bescheid wissen, sondern auch ihre Angehörigen und das Umfeld.

Über den Nutzen von Hörhilfen informieren: Wird eine Hörstörung festgestellt, ist es wichtig, sie frühzeitig zu behandeln und einer zunehmenden Schwerhörigkeit entgegenzuwirken. Da bislang für Erwachsene keine otoprotektiven Medikamente zur Verfügung stehen, sollte man wissen: Mithilfe von Hörgeräten lässt sich die aktuelle Hörsituation in der Regel verbessern, negativen Folgen für die Gesundheit vorbeugen und die Lebensqualität erhöhen.

Was man sonst noch tun kann: Ermutigen Sie Ihre Patienten und Patientinnen zu einem gesunden Lebensstil, inklusive Rauchverzicht. Das kann beitragen, Ototoxizität zu mindern.



krebsinformationsdienst.med: Service für Fachkreise



Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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