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Erster BRAF-Inhibitor für Darmkrebs zugelassen

Wirksamere Therapie bei Tumoren mit BRAF-Mutation

Etwa jeder zehnte Patient mit metastasiertem Darmkrebs hat eine BRAF-Mutation und damit einen besonders aggressiven Tumortyp. krebsinformationsdienst.med informiert über eine neue Therapiemöglichkeit für diese Patienten.

EU-Neuzulassung, Europaflagge mit Schriftzug, © Pixabay
Erstmals wurde ein BRAF-Inhibitor zur Behandlung von Darmkrebs in Europa zugelassen. © Pixabay

Anfang Juni hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA mit Encorafenib (Braftovi®) den ersten BRAF-Inhibitor zur Behandlung von Darmkrebs zugelassen: Der Wirkstoff wird in Kombination mit dem EGFR-Hemmer Cetuximab bei erwachsenen Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom eingesetzt, die schon eine systemische Vortherapie erhalten haben. Wichtige Voraussetzung ist, dass im Tumor eine BRAF V600E-Mutation vorliegt.

Die Zulassung von Encorafenib basiert auf den Ergebnissen der Studie BEACON CRC. Sie zeigte eine deutliche Überlegenheit der zielgerichteten Therapie ("targed therapy") mit Encorafenib / Cetuximab im Vergleich zur Standard-Chemotherapie.

BRAF-Mutation verschlechtert Prognose

Bei etwa 8 – 10 Prozent der Patienten mit metastasiertem Darmkrebs weisen die Tumorzellen eine BRAF V600E-Mutation auf. Diese Tumoren wachsen besonders rasch und aggressiv und sprechen kaum auf die initiale Chemotherapie an. Nachfolgende Behandlungen können das Fortschreiten der Erkrankung allenfalls kurz aufhalten. Dementsprechend schlecht ist die Prognose der Betroffenen.

BRAF-mutierter metastasierter Darmkrebs: Standardtherapien wenig effizient

Bei Nachweis der BRAF V600E-Mutation bei einem Patienten mit metastasiertem Darmkrebs ist eine möglichst intensive Chemotherapie indiziert. Sie soll ein rasches Zunehmen von Symptomen verhindern und die Chancen auf ein längeres Überleben wahren. Sofern der Allgemeinzustand des Betroffenen es zulässt, werden drei verschiedene Zytostatika kombiniert (FOLFOXIRI-Schema) und eventuell ein Angiogenesehemmer (Bevacizumab) hinzugenommen. Häufig erreicht die Chemotherapie bei den Patienten keine befriedigenden Ergebnisse. Und auf nachfolgende Therapien sprechen die Tumoren nur in wenigen Fällen an.

Auf der Suche nach effektiveren Therapien werden auch bei Darmkrebs neue zielgerichtete Wirkstoffe intensiv erforscht. Einen vielversprechenden Ansatz zur Behandlung von Patienten mit BRAF-mutierten Tumoren stellen BRAF-Inhibitoren dar.

BRAF-Inhibitoren als Monotherapie nicht wirksam

BRAF V600E-Mutation überaktiviert MAPK-Signalweg

Das BRAF-Gen kodiert für ein Enzym (Kinase) im MAPK-Signalweg, der unter anderem das Zellwachstum mitreguliert. Bei der V600E-Mutation wird in Position 600 der Aminosäurekette Valin durch Glutaminsäure ausgetauscht. Das hat zur Folge, dass die BRAF-Kinase nicht mehr abgeschaltet werden kann. Dies wiederum führt zu einer ständigen Aktivierung der im Signalweg nachgeschalteten Kinasen und damit zum Kontrollverlust über die Teilung (Proliferation) und das Überleben der betroffenen Zelle.

Hemmstoffe der BRAF-Kinase blockieren den MAPK-Signalweg. Dieser Signalweg reguliert zusammen mit anderen die Zellteilung und ist in Tumorzellen mit mutierter BRAF-Kinase überaktiv (siehe Kasten).

Studien haben gezeigt, dass kolorektale Karzinome mit BRAF V600E-Mutation auf eine allein gegen BRAF gerichtete Therapie kaum ansprechen. Erklärt wird diese Therapieresistenz dadurch, dass bei Blockade der BRAF-Kinase in den Tumorzellen über den EGF-Rezeptor (EGFR) alternative Signalwege angeschaltet und auf diese Weise der MAP-Kinase-Signalweg reaktiviert wird. Die Hoffnung richtete sich daher auf Ansätze, die darauf abzielen, das gesamte Signalnetzwerk des EGFR zu blockieren (dies wird auch als Multitargeting bezeichnet).

BEACON-Studie: Kombinierte BRAF- und EGFR-Hemmung

In einer Reihe von Studien untersuchten und untersuchen Wissenschaftler Kombinationstherapien, bei denen verschiedene Komponenten des MAP-Kinase-Signalwegs gleichzeitig gehemmt werden.

Hierzu gehört die multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie BEACON CRC. Darin wurden 665 Patienten mit BRAF V600-mutiertem kolorektalem Karzinom im Stadium IV nach Versagen von ein oder zwei Therapielinien auf drei Studienarme verteilt:

  • Ein Drittel der Patienten erhielt eine zielgerichtete Dreifachtherapie mit dem BRAF-Inhibitor Encorafenib, dem EGFR-Inhibitor Cetuximab und dem MEK-Inhibitor Binimetinib.
  • Im zweiten Studienarm wurde das Zweifach-Schema Encorafenib / Cetuximab verabreicht.
  • Teilnehmer des Kontrollarms wurden mit einer Standard-Therapie behandelt (FOLFIRI / Cetuximab oder Irinotecan / Cetuximab).

Primäre Endpunkte der Studie waren Unterschiede im Therapieansprechen und Gesamtüberleben zwischen dem Dreifach-Schema und der Standard-Therapie. Als einer der sekundären Endpunkte wurden Therapieansprechen und Gesamtüberleben in der Encorafenib / Cetuximab-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe definiert. Ein direkter Vergleich der Triplett- mit der Duplett-Therapie war bei dem Studiendesign nicht vorgesehen.

Nebenwirkungen unter BRAF / EGFR-Hemmung

Die häufigsten Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Encorafenib und Cetuximab waren: Fatigue, Übelkeit, Diarrhö, akneiforme Dermatitis, Abdominalschmerzen, Arthralgie / muskuloskelettale Schmerzen, verminderter Appetit, Hautausschlag und Erbrechen.

Studienergebnisse zeigen Überlegenheit der zielgerichteten Therapie

Ende Mai 2020 wurde bei der ASCO-Jahreskonferenz eine aktualisierte Auswertung der BEACON-Studie vorgestellt: Beide zielgerichteten Kombinationen waren der konventionellen Therapie im Hinblick auf Ansprechrate, progressionsfreiem Überleben und Gesamtüberleben eindeutig überlegen.

Darüber hinaus zeigte sich, dass Patienten unter Zwei- und Dreifach-Hemmung gleich lange überlebten, die Triplett-Therapie jedoch mit mehr Nebenwirkungen verbunden war: Das Gesamtüberleben lag in beiden experimentellen Studienarmen bei jeweils 9,3 Monaten (vs. 5,9 Monaten im Kontrollarm). Die Nebenwirkungsrate (Nebenwirkungen ≥ Grad 3) betrug etwa 57 Prozent beziehungsweise etwa 66 Prozent beim Zweifach- beziehungsweise Dreifach-Schema (Kontrollarm: etwa 64 Prozent).

Retrospektive Subgruppenanalysen der BEACON-Studie lassen vermuten, dass für ausgewählte Patienten die Dreifach-Kombination möglicherweise einen Vorteil gegenüber der Zweifach-Therapie bieten könnte.

Encorafenib / Cetuximab: neue Standardtherapie

Mutationsanalysen vor Therapiebeginn

Patienten mit metastasiertem Darmkrebs sollten möglichst noch vor Beginn der Erstlinientherapie auf Genveränderungen in den RAS-Genen sowie auf die BRAF V600E-Mutation getestet werden. Der Ausschluss einer RAS-Mutation ist Voraussetzung für eine Therapie mit Cetuximab. Encorafenib darf nur bei Tumoren mit BRAF V600E-Mutation eingesetzt werden.

Die Testung kann im Rahmen einer Stufendiagnostik erfolgen: Die BRAF-Analytik wird erst nach Ausschluss einer RAS-Mutation durchgeführt. Denn gleichzeitige Mutationen von RAS- und BRAF-Genen sind extrem selten.

Die Ergebnisse der BEACON-Studie ändern die klinische Praxis bei Patienten mit BRAF V600E-mutiertem metastasiertem Kolorektalkarzinom: Neuer Standard in der Zweitlinientherapie ist das Chemotherapie-freie Zweifach-Schema aus dem seit langem bei Darmkrebs eingesetzten EGFR-Hemmstoff Cetuximab und dem neu zugelassenen BRAF-Inhibitor Encorafenib.

Im Vergleich zur bisherigen Standardchemotherapie verbessert die neue zielgerichtete Therapie die Behandlungsergebnisse deutlich. Gleichzeitig treten weniger Nebenwirkungen auf. Beides wirkt sich auch auf die Lebensqualität aus: Sie bleibt länger erhalten.

Zielgerichtete Kombinationsbehandlung auch als Ersttherapie?

Experten vermuten: Je früher sie in der Behandlungssequenz eingesetzt wird, desto effizienter ist eine Mehrfach-Hemmung des MAPK-Signalwegs in der Darmkrebs-Behandlung.

In der multizentrischen einarmigen Phase-II-Studie ANCHOR CRC wird derzeit die dreifach zielgerichtete Therapie mit Encorafenib, Cetuximab und Binimetinib bei Patienten mit metastasiertem BRAF V600E-mutiertem Kolorektalkarzinom als erste Therapielinie untersucht. Die Datenerhebung wird voraussichtlich im Oktober 2020 abgeschlossen sein. (Eintrag in der Studiendatenbank ClinicalTrials).



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