Nicht alle Krebspatientinnen und Krebspatienten werden während ihrer letzten Lebensphase in Hospizen und Krankenhäusern versorgt. Viele nutzen mit der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) die Möglichkeit, diese Zeit zu Hause zu verbringen. Für Ärztinnen und Ärzte ist die Verordnung von SAPV nicht immer leicht gegenüber der Kasse zu vertreten, besonders dann, wenn gleichzeitig noch eine Chemotherapie verordnet wird. In der Recherche des Monats erläutert Ihnen krebsinformationsdienst.med die rechtlichen Grundlagen.
Anfrage einer Krankenhaus-Mitarbeiterin im Entlassmanagement an den Krebsinformationsdienst
Bei der palliativen Versorgung von Krebspatienten stellt sich mir immer wieder die Frage, ob Krebspatienten, die noch Chemotherapie bekommen, gleichzeitig auch Anspruch auf SAPV haben können? Wie kann die Verordnung der SAPV in diesen Fällen gegenüber der Krankenkasse begründet werden?
Wann haben Krebspatienten Anspruch auf SAPV?
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) wurde 2007 als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Ziel der SAPV ist, Sterbenskranken ihre Lebensqualität und Selbstbestimmung zu erhalten. Mit SAPV erbringt ein interdisziplinäres Team (Palliative-Care-Team) Krebspatienten, die besonders aufwändige Versorgung benötigen, 24 Stunden täglich zuhause alle Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung.
Der Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist allgemein in § 37b SGB V geregelt1. Die Details zur SAPV hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie festgelegt2. Danach können Ärzte ihren Krebspatienten SAPV verordnen, wenn die Krebserkrankung so weit fortgeschritten ist, dass die Lebenserwartung nach ärztlicher Einschätzung auf Tage, Wochen oder Monate beschränkt ist. Im Vordergrund der Versorgung mit SAPV steht dabei, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und ihre Schmerzen zu lindern.
Voraussetzung: Besonders aufwändige palliative Versorgung
Das vom Arzt festgelegte und mit dem Patienten abgestimmte Therapieziel darf also nicht mehr kurativ, sondern muss palliativ sein. Begründen können Ärztinnen und Ärzte das palliative Therapieziel zum Beispiel mit dem Auftreten prognostisch ungünstiger Metastasen oder einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes innerhalb von Tagen oder Wochen3. Sie können dazu z. B. die TNM-Klassifikation zitieren.
Weitere Voraussetzung für die Verordnung von SAPV ist, dass Patienten eine besonders aufwändige Versorgung benötigen. Das trifft zu, wenn
- die erforderliche Behandlung nicht mehr im Rahmen der üblichen ambulanten Versorgung durch einen Vertragsarzt gemeinsam mit einem ambulanten Pflegedienst oder nur unter besonderer Koordination erreicht werden kann und
- die Versorgung besonders aufwändig ist. Eine besonders aufwändige Versorgung ist nach der G-BA-Richtlinie z. B. bei einer ausgeprägten Schmerzsymptomatik oder ulzerierenden / exulzerierenden Tumoren gegeben2.
Können SAPV und Chemotherapie gleichzeitig verordnet werden?

Die Durchführung einer Chemotherapie schließt Leistungen der SAPV nicht automatisch aus. Entscheidend dafür, ob Chemotherapie und SAPV gleichzeitig verordnet werden können, ist das primäre Therapieziel der Chemotherapie.
Therapieziel kurativ oder lebensverlängernd
Ist das Therapieziel der Chemotherapie die Heilung, Lebensverlängerung oder Rezidivprophylaxe, ist eine gleichzeitige Verordnung in der Regel nicht möglich3. Die Therapieziele der Chemotherapie und der SAPV würden sonst im Widerspruch stehen: Wenn der Krebs noch kurativ oder lebensverlängernd behandelbar ist, ist kein Raum für eine Versorgung mit SAPV, die Patienten den Sterbeprozess schmerzfrei und menschenwürdig ermöglichen soll.
Therapieziel palliativ
Anders sieht es aus, wenn die Chemotherapie zur Linderung von Symptomen der Tumorerkrankung in der letzten Lebensphase verordnet wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn mit der Chemotherapie ein schmerzhaftes Weiterwachsen in Nervengewebe verhindert werden soll: Chemotherapie und SAPV erfolgen dann beide im Rahmen der Palliativversorgung mit dem Therapieziel der Symptomlinderung. In diesem Fall können Chemotherapie und SAPV gleichzeitig verordnet werden3.
Klare Trennung essenziell
Probleme können bei dieser klaren rechtlichen Unterscheidung in der Praxis auftreten, wenn unterschiedliche Stellen an der Versorgung beteiligt sind und sich zum Beispiel aus den Abrechnungen mit der Krankenkasse oder aus weiteren Verordnungen widersprüchliche Therapieziele ergeben. Keine Auswirkung auf die Versorgung mit SAPV hat jedoch, wenn Krebspatienten trotz der palliativen Ausrichtung in der Chemotherapie eine letzte Chance für eine Heilung sehen.
Fazit
Bei der Frage, ob Krebspatienten, die noch Chemotherapie bekommen, auch Anspruch auf SAPV haben, kommt es auf das vom Arzt nach dem Stand der medizinischen Erkenntnisse festgelegte und entsprechend dokumentierte Therapieziel an: Chemotherapie und SAPV können gleichzeitig verordnet werden, wenn die Chemotherapie nicht mit kurativem oder lebensverlängerndem Therapieziel, sondern zur Symptomlinderung in den letzten Lebensmonaten oder -wochen palliativ erfolgt. Dies gilt entsprechend auch für Strahlentherapien und andere medizinische Behandlungen. Ärzte sollten das Therapieziel der Chemotherapie bei der Verordnung bereits angeben und auch bei der Abrechnung berücksichtigen. So können Nachfragen und Ablehnungen der Krankenkassen verringert werden. Die Begutachtungsanleitung zur SAPV beinhaltet eindeutige Hinweise, wie die gleichzeitige Verordnung von SAPV und Chemotherapie erfolgen kann3.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Rechtlicher Rahmen/Behördeninformationen
1 Der Anspruch gesetzlich Versicherter auf SAPV ist in § 37b SGB V geregelt (www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__37b.html). Auf Grundlage von § 132 d SGB werden die Verträge zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen zur SAPV geschlossen (www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__132d.html). Die Verträge können bei den Krankenkassen oder den Verbänden der Leistungserbringer eingesehen werden.
2 Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) regelt in der Richtlinie zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgungs-Richtlinie / SAPV-RL) das Nähere zur SAPV: www.g-ba.de/informationen/richtlinien/64/.
3 In der "Begutachtungsanleitung - Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) und stationäre Hospizversorgung" des GKV Spitzenverbandes und des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) finden sich detaillierte Hinweise zur SAPV, die bei der Verordnung hilfreich sein können (insbesondere Seite 13/14): www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hospiz_palliativversorgung/Begutachtungsanleitung_SAPV_stationaere_Hospizversorgung_2014-05-12.pdf (PDF).
Der GKV-Spitzenverband hat mit spezialisierten Leistungserbringern Empfehlungen zur SAPV verfasst: www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hospiz_palliativversorgung/Palliativ_Empfehlungen_nach__132d_Abs_2_SGB_V_05-11-20102.pdf (PDF) und veröffentlicht regelmäßig Berichte zur Versorgung mit SAPV, zuletzt am 8.12.2017:
www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hospiz_palliativversorgung/20171208_Bericht_GKV-SV_Palliativversorgung.pdf (PDF).
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