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Ist der Begriff "kastrationsresistentes" Prostatakarzinom noch zeitgemäß?

Was spricht für einen Update der Terminologie?

"Kastrationsresistenz" bei Prostatakrebs ist ein häufig verwendetes Fachwort. Man findet es nicht nur in den ärztlichen Leitlinien, in medizinischen Publikationen und im Gespräch unter Experten. Auch gut informierte Patienten sind mit diesem Begriff höchst vertraut. Passt es aber noch in unsere heutige Zeit, Männer, bei denen die Hormonentzugstherapie nicht mehr wirkt, bedenkenlos als "kastrationsresistent" zu bezeichnen? Dieser Frage ist krebsinformationsdienst.med nachgegangen.

Kastrationsresistentes Prostatakarzinom

Diagnosestellung "kastrationsresistentes" Prostatakarzinom laut Leitlinien
  • Testosteron < 50 ng/dl (< 1,7 nmol/l) und entweder
  • Biochemisches Fortschreiten: ab einem PSA-Wert > 2 ng/ml Nachweis von drei konsekutiven PSA-Anstiegen mit einwöchigem Abstand, zwei davon müssen mehr als 50 % über dem tiefsten Posttherapie-PSA (Nadir) liegen oder
  • Radiologisches Fortschreiten: Neuauftreten von ≥ 2 Knochenmetastasen im Knochenszintigramm oder Vergrößerung von Weichteilmetastasen

Eine Kastrationsresistenz beim Prostatakarzinom wird diagnostiziert, wenn die Krebserkrankung fortschreitet, obwohl der Patient eine klassische Hormonentzugstherapie (LHRH-Analoga) erhält. Voraussetzung für die Diagnose ist ein nachgewiesenermaßen niedriger Testosteronspiegel im Blut. Für den Patienten bedeutet dies, dass LHRH-Analoga alleine nicht mehr wirksam sind und der Tumor resistent gegen einen reinen Hormonentzug geworden ist. In dieser Situation ergeben sich in der Regel Indikationen für neue Therapielinien.

Kastration und Kastrationsresistenz: Unterschiedlich im Sprachgebrauch

Nicht üblich ist es jedoch, bereits bei Einleitung der Hormonentzugstherapie von Kastration zu sprechen. Dabei versteht man unter Kastration ganz allgemein das Entfernen beziehungsweise Außer-Funktion-Setzen der Keimdrüsen (Gonaden) – sowohl beim Mann als auch bei der Frau. Beim Mann können die Hoden prinzipiell chirurgisch oder medikamentös ausgeschaltet werden. Heutzutage wird der medikamentöse Hormonentzug bevorzugt, da er reversibel ist. In der Praxis bleibt die Titulierung "Kastration" häufig der operativen Hodenentfernung (Orchiektomie) vorbehalten. Bei Patientinnen mit Brustkrebs spielt der Kastrationsbegriff hingegen keine Rolle.

Historische Entwicklung und Nobelpreis-Verleihung

Der Begriff "kastrationsresistentes" Prostatakarzinom ist historisch begründet. In den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts fand der Krebsforscher und Chirurg Dr. Charles Brenton Huggins heraus, dass männliche und weibliche Hormone Prostatakrebszellen gegenläufig beeinflussen. Er experimentierte an Hunden und entdeckte das Wirkprinzip der chirurgischen Kastration. Daraufhin etablierte sich dieser neue Therapieansatz auch bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs. Für diese wichtige Errungenschaft wurde Huggins 1966 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verliehen. Es sollte dann allerdings noch Jahrzehnte dauern, bis Ende des 20. Jahrhunderts verschiedene medikamentöse Hormonentzugstherapien zugelassen wurden.

Bedeutung für die Arzt-Patienten-Kommunikation

männliche Sexualorgane © ChrisChrisW/Istock
© ChrisChrisW/Istock

Der medizinische Fachbegriff Kastration leitet sich aus dem Lateinischen "castrare" ab und bedeutet übersetzt abschneiden, schwächen, entmannen. Aus früheren Kulturen ist bekannt, dass Kastrationen zum Teil mit dem Ziel durchgeführt wurden, Menschen zu demütigen und bestrafen.

Da ist es nicht weit hergeholt, dass das Wort bei Betroffenen auch negative Gedankenassoziationen auslösen kann. So findet man zum Beispiel in Blogs und Krebsforen Reaktionen von Männern mit Prostatakrebs, die diesen Fachbegriff als "krass" und "rabiat" titulieren.

Ärzte sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie mit Patienten und deren Familien darüber sprechen, dass ein "kastrationsresistentes" Prostatakarzinom vorliegt und welche Therapieoptionen infrage kommen.

Präzisionsonkologie: Einteilung in Subtypen

Die Entwicklung in der Krebsmedizin ist rasant. Wie bei anderen Tumorarten, sind zur Behandlung von Prostatakrebs in den letzten Jahren zahlreiche neue Substanzen auf den Markt gekommen. Dies trifft insbesondere auch auf die antihormonelle Therapie des Prostatakarzinoms zu.

Verschiedene Formen der antihormonellen Therapie

Prostatakrebs-Patienten steht heute eine Vielfalt verschiedener antihormoneller Medikamente zur Verfügung. Die Wirkprinzipien sind allerdings nicht einheitlich: Einige Substanzen senken die Testosteronspiegel im Blut, einige andere nicht. Antihormonmittel blockieren teils Rezeptoren außerhalb der Prostatakrebszelle, teils Schaltstellen intrazellulär. Hinzu kommt, dass sich Empfehlungen durch neue Erkenntnisse aus der Forschung fortlaufend ändern – sowohl zu Kombinationsbehandlungen als auch zur Sequenztherapie.

Verschiedene Resistenzmechanismen

Das Repertoire an Angriffspunkten der Hormontherapie ist komplex und somit können auch Resistenzmechanismen vielfältig sein. Je nach Vortherapie sind resistente Prostatakarzinome biologisch nicht identisch. Während es beispielsweise Patienten gibt, deren Tumor lediglich auf den klassischen Hormonentzug nicht mehr anspricht, gibt es andere, bei denen auch die modernen hormonellen Therapiestrategien nicht mehr greifen. Beide gehören der Gruppe der kastrationsresistenten Prostatakarzinom-Patienten an, ihre Prognose kann sich aber grundlegend unterscheiden.

Kastrationsresistente Prostatakarzinome: Keine einheitliche Gruppe

Es ist also gut nachzuvollziehen, dass "Kastrationsresistenz" – wortwörtlich genommen – nicht mehr zur aktuellen Vielfalt der individuellen Krankheitssituationen passt. Diese Meinung vertritt auch eine internationale Prostatakrebs-Expertengruppe, die kürzlich einen Fachartikel zu diesem Thema publiziert hat1. Die Experten plädieren dafür, diesen traditionsreichen Fachbegriff zu verlassen. Die Strategie der Zukunft sollte stattdessen sein, präzise nach Subgruppen zu stratifizieren und auch entsprechend zu benennen.

Klinische und molekulare Stratifizierung

Eine präzise Einteilung in Subtypen ist notwendig, um über das richtige Therapiemanagement zu entscheiden. Für Prostatakrebs ist allerdings noch keine allgemeingültige molekulare Subtypen-Einteilung definiert, wie es sie beispielsweise bei Brustkrebs gibt. Daher forschen Wissenschaftler derzeit intensiv nach geeigneten Biomarkern2. So lassen sich inzwischen Prostatatumoren mit neuroendokriner Differenzierung und Karzinome mit defektem DNA-Reparatursystem abgrenzen. Für diese eher seltenen Prostatakrebstypen sind gesonderte Wirksubstanzen verfügbar. Die Mehrheit der Prostatakarzinom-Patienten klassifiziert der Urologe jedoch nach klinischen Kriterien. In fortgeschrittenen Tumorstadien gehören dazu unter anderem die PSA-Kinetik, das Metastasierungsmuster und die Therapielinien – also welche Medikamente, in welcher Kombination und in welcher Reihenfolge, eingesetzt wurden.

Fazit für die Praxis

Möglicherweise hat der Begriff "Kastrationsresistenz" bald ausgedient. Zumindest wichtig zu wissen: Hinter der Diagnose kastrationsresistentes Prostatakarzinom kann sich eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheitssituationen verbergen. Fachleute plädieren daher dafür, Männer mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem Prostatakrebs in Zukunft präziser einzugruppieren – entsprechend der biologischen Tumormerkmale und abhängig davon, welche Vortherapien bereits durchgeführt wurden.

In Zeiten der Arzt-Patienten-Kommunikation auf Augenhöhe kommt dieser Expertenrat vielleicht außerdem Ärzten gelegen, die das Wort "kastrationsresistentes" Prostatakarzinom im Gespräch vermeiden möchten. Denn viele Ärzte haben schon negative Reaktionen von Patienten und ihren Familien erfahren, wenn sie diesen Fachbegriff verwendet haben. Hilfreich könnte dabei sein, im klinischen Alltag auf den Wissensstand des Betroffenen zu achten und dessen eigene Wortwahl aufzugreifen.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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