Chlorotoxin: ein Peptid aus Skorpiongift
Eine Substanz aus Skorpiongift, die auch in der Krebsforschung untersucht wird, ist das Polypeptid Chlorotoxin (CTX, CLTx). Ursprünglich wurde es aus dem Gift des gelben Mittelmeerskorpions (Leiurus quinquestriatus) isoliert. Inzwischen sind viele unterschiedliche Chlorotoxine beziehungsweise Chlorotoxin-ähnliche Substanzen bekannt. CTX und CTX-ähnliche Polypeptide kommen in Skorpiongiften allerdings nur in geringen Mengen vor. Sie werden daher in der Regel im Labor synthetisiert.
Skorpiongifte in der Krebsforschung
Die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse zu Skorpiongiften bei Krebs stammen vorrangig aus der Grundlagenforschung, also aus Zell- und Tierversuchen im Labor. Es liegt aber auch eine frühe klinische Studie vor, in der Chlorotoxin als Vorlage für gentechnisch veränderte T-Zellen (CAR-T-Zellen) untersucht wird (siehe unten).
Grundlagenforschung mit Gliomzellen: Laborversuche aus den 1990er-Jahren zeigten, dass Chlorotoxine speziell an manche Tumorzellen wie Gliomzellen binden. Das Polypeptid erkennt unter anderem einen Chlorid-Ionenkanal, der bevorzugt auf veränderten bösartigen Gliomzellen, nicht jedoch auf gesunden Bindegewebszellen des Gehirns (gesunden Gliazellen) vorkommt – daher auch der Name Chloro-Toxin.
Chlorotoxin bindet vermutlich an weitere Strukturen in und auf Gliom- und anderen Krebszellen, darunter
- Matrix-Metalloproteinase 2 (MMP2),
- Annexin A2,
- Östrogenrezeptor alpha (ERα) und
- Neuropilin 1 (NRP1).
Durch Bindung und damit Hemmung dieser Proteine könnte unter anderem die Invasivität von Tumorzellen eingeschränkt werden. Warum Chlorotoxine vor allem auf Krebszellen wirken und welche der möglichen Mechanismen hierfür besonders wichtig sind, ist noch nicht vollständig geklärt.
Wirkung bei Brustkrebszellen: Auch Laborversuche mit Brustkrebszellen zeigen, dass Skorpiongift möglicherweise eine krebshemmende Wirkung hat1. Dabei waren beim unaufgereinigten Gift eher unspezifische zytotoxische Wirkungen zu beobachten, die etwa zur Apoptose führen. Isolierte Bestandteile aus Skorpiongift wie Chlorotoxin unterdrückten tumorfördernde Signalwege gezielter und hemmten beispielsweise das Wandern der Tumorzellen in die Umgebung (Migration).
Der Blaue Skorpion
Das Gift des aus Kuba stammenden Blauen Skorpions (Rhopalurus junceus) ist Gegenstand eines homöopathischen Ansatzes. Zu dem Mittel mit dem Namen Vidatox gibt es jedoch keine klinischen Daten, die eine Wirkung gegen Krebs belegen könnten. Eine italienische Gruppe hat in Zelllinien des hepatozellulären Karzinoms und im Tierversuch mit Ratten sogar eher eine tumorfördernde Wirkung von Vidatox beobachtet2.
Chlorotoxin als Vorlage für CAR-T-Zellen?
Derzeit läuft eine kleine Phase-I-Studie mit 4 Glioblastom-Erkrankten mit Rückfall3. Hier werden patienteneigene T-Zellen gentechnisch so verändert, dass sie an eine Struktur angelehnt sind, die Chlorotoxin ähnelt. Erste im August 2025 veröffentlichte Ergebnisse deuten bei einzelnen Teilnehmenden auf eine Krankheitsstabilisierung hin. Ob dieser Ansatz weiterverfolgt wird, ist derzeit unklar.
Weiterer Forschungsansatz: Chlorotoxin und verwandte Substanzen könnten künftig auch als Transporter benutzt werden. Im Labor hergestellte Nanopartikel, die mit Chlorotoxin und zum Beispiel einem Chemotherapeutikum beladen werden, sollen Medikamente gezielt in Krebszellen bringen. Aus Laborversuchen gibt es Hinweise, dass Chlorotoxin den Eintritt von Chemotherapeutika in Tumorzellen erleichtern könnte. So soll die Wirkstoffabgabe gezielt gesteuert und die Wirksamkeit verbessert werden.
Fazit und Ausblick
Bislang gibt es keine aussagekräftigen Belege aus klinischen Studien dazu, ob Skorpiongifte wie Chlorotoxin gegen Krebs wirken. Da auch Daten zur Sicherheit von Skorpiongift-Produkten bei Krebspatientinnen und -patienten fehlen, ist es möglich, dass es bei einer Anwendung zu schweren unerwünschten Wirkungen kommen kann.
Verschiedene Forschungsansätze zu Skorpiongift beziehungsweise Bestandteilen daraus laufen. Eine gezielte Anwendung in der klinischen Praxis gibt es bislang jedoch nicht.
Zum Weiterlesen: Verwendete Quellen und vertiefende Informationen
Quellen
1 Kwon NY, Sung HK, Park JK. Systematic Review of the Antitumor Activities and Mechanisms of Scorpion Venom on Human Breast Cancer Cells Lines (In Vitro Study). J Clin Med. 2025 May 4;14(9):3181. doi: 10.3390/jcm14093181.
2 Giovannini C, Baglioni M, Baron Toaldo M, Cescon M, Bolondi L, Gramantieri L. Vidatox 30 CH has tumor activating effect in hepatocellular carcinoma. Sci Rep. 2017 Mar 21;7:44685. doi: 10.1038/srep44685. Erratum in: Sci Rep. 2017 Dec 22;7:46920. doi: 10.1038/srep46920.
3 Barish ME, Aftabizadeh M, Hibbard J, Blanchard MS, Ostberg JR, Wagner JR, Manchanda M, Paul J, Stiller T, Aguilar B et al. Chlorotoxin-directed CAR T cell therapy for recurrent glioblastoma: Interim clinical experience demonstrating feasibility and safety. Cell Rep Med. 2025 Aug 19;6(8):102302. doi: 10.1016/j.xcrm.2025.102302.
Boltman T, Meyer M, Ekpo O. Diagnostic and Therapeutic Approaches for Glioblastoma and Neuroblastoma Cancers Using Chlorotoxin Nanoparticles. Cancers (Basel). 2023 Jun 28;15(13):3388. doi: 10.3390/cancers15133388.
Weitere Übersichtsarbeiten und Fachveröffentlichungen
Shamoon Z, Peterfy RJ, Hammoud S, Khazaeni B. Scorpion Toxicity. 2023 Aug 8. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2025 Jan.
Weitere Quellen (Auswahl)
Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC). Scorpion Venom. Stand 06/2023.