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Skorpiongift bei Krebs: Gibt es erste Erfolge?

Chlorotoxine könnten künftig Tumormedikamente gezielt transportieren

Können tierische Gifte Krebs heilen? Diese Fragen stellen Patienten und Angehörige immer wieder. Häufig werden Menschen durch Berichte in den Medien auf das Thema aufmerksam. Beispielsweise hebt ein Beitrag von Focus Online im Dezember 2016 Wespen- und Skorpiongifte als zukünftige Hoffnungsträger für Krebspatienten hervor. Welche wissenschaftlichen Grundlagen gibt es hierfür? Und wann können Patienten mit aussagekräftigen klinischen Ergebnissen rechnen? Am Beispiel Skorpiongift gibt der krebsinformationsdienst.med Antworten auf diese Fragen.

Skorpiongift kurzgefasst: derzeit kein Einsatz in der Krebstherapie

Skorpion
Skorpion der Buthidae-Familie (© Mauro Rodrigues/fotolia).

Wirkstoffe, die sich von Skorpiongiften ableiten, sind bislang nicht zur Behandlung von Krebs zugelassen. Eine Suche in internationalen Studiendatenbanken ergab, dass solche Wirkstoffe aktuell nicht im Rahmen von klinischen Studien bei Krebspatienten untersucht werden. Ergebnisse einer ersten Phase-I-Studie an Gliom-Patienten stammen aus dem Jahr 2005. Einzelne Substanzen werden derzeit aber in Zellkulturen oder im Tierversuch erforscht. Im Fokus stehen hier vor allem das Polypeptid Chlorotoxin und Chlorotoxin-ähnliche Eiweiße. Insbesondere Gliomzellen nehmen diese auf und werden infolgedessen in ihrem Wachstum gehemmt. Dagegen nehmen gesunde Hirnzellen die Polypeptide nicht oder nur in geringem Maße auf und werden deshalb weitgehend geschont. Darüber hinaus beobachteten die Forscher, dass Chlorotoxine die Gefäßneubildung im Tumor unterdrücken. Unklar ist bislang, ob diese Effekte ausreichen, um das Tumorwachstum bei Patienten vollständig zu stoppen. Experten gehen davon aus, dass Chlorotoxin und verwandte Substanzen in Zukunft vor allem als "Transporter" benutzt werden können. Mit ihrer Hilfe sollen andere wirksame Antitumorsubstanzen gezielt in die Krebszellen gebracht werden.

Warum sind Tiergifte für die Medizin interessant?

Krebsforschung und klinische Studien

Mehr zum Thema Krebsforschung etwa neue Verfahren, neue Medikamente und klinische Studien findet sich in unserem Text Krebsforschung.

Seit jeher nutzen Menschen Substanzen aus der Natur für therapeutische Zwecke. Tierische Gifte bieten hier Potential: Sie enthalten Substanzen, die rasch und gezielt grundlegende Stoffwechselvorgänge beeinflussen. Bislang basieren allerdings nur wenige zugelassene Arzneimittel auf der Grundlage eines tierischen Giftes: Beispiele sind der Blutdrucksenker Captopril, ursprünglich aus dem Gift der Jararaca-Lanzenotter (Bothrops jararaca) isoliert, das Antidiabetikum Exanatid aus der Gila-Krustenechse (Heloderma suspectum) oder das Schmerzmittel Ziconotid aus der Kugelschnecke (Conus magus).
Ein von der EU gefördertes Projekt hat in den letzten Jahren gezielt nach therapeutisch nutzbaren Substanzen in Tiergiften geforscht. Von insgesamt 25.000 isolierten Peptiden aus Spinnen, Skorpionen, Insekten und Meerestieren sind laut Aussage der Forscher 3.600 möglicherweise für den Menschen nutzbar. Sie sollen nun weiter geprüft werden, was nochmals Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Forscher hoffen aber, dass daraus in Zukunft etliche neue Arzneimittel entwickelt werden können.

Was enthalten Skorpiongifte?

Neben Schlangen bilden Skorpione die für den Menschen gefährlichsten tierischen Gifte. Weltweit sind über tausend Skorpionarten bekannt. Größte Skorpionfamilie sind die Buthidae, die viele giftige Arten umfassen. Nur von wenigen dieser Arten ist ein Stich jedoch tödlich für den Menschen. Wie alle tierischen Gifte bestehen auch Skorpiongifte aus verschiedensten Substanzen. Jede Skorpionart hat eine individuelle Giftmischung. Das Gift besteht vor allem aus vielen kleinen Eiweißen (Polypeptiden), die speziell auf Ionenkanäle in der Zellmembran von Nerven- und Muskelzellen wirken.
In den frühen 1990er Jahren wurde das Polypeptid Chlorotoxin (CTX, CLTx) aus dem Gift des gelben Mittelmeerskorpions (Leiurus quinquestriatus) isoliert. Ursprünglich wurde Chlorotoxin als Hemmstoff von Chloridkanälen beschrieben: daher stammt auch der Name des Toxins. Chlorotoxin und Chlorotoxin-ähnliche Polypeptide kommen im Gift etlicher Skorpionarten und auch in anderen Tiergiften vor. Weitere Substanzen in Skorpiongift, die derzeit für eine Krebstherapie erforscht werden, sind beispielsweise die Substanz Bengalin, ursprünglich isoliert aus dem Gift des schwarzen Indienskorpions (Heteromerus bengalensis), Margatoxin aus dem Gift des Rindenskorpions (Centruroides margaritatus) und Iberiotoxin aus dem Gift des roten indischen Skorpions (Buthus tamulus).

Welche Forschungsergebnisse zu Chlorotoxin gibt es bereits?

Chlorotoxin und Chlorotoxin-ähnliche Polypeptide kommen in Skorpiongiften nur in sehr geringen Mengen vor. Sie können heute jedoch im Labor synthetisiert werden. Eines der ersten synthetischen Chlorotoxine, das in der vorklinischen und klinischen Forschung zum Einsatz kam, ist TM-601.

Untersuchungen mit radioaktiv- oder fluoreszenzmarkiertem Chlorotoxin zeigen: Die Substanz wird gezielt in Krebszellen aufgenommen, jedoch nicht oder zumindest kaum in gesunde Zellen. Vorklinische Studien wiesen dies für Gliomzellen und zahlreiche weitere Tumorarten nach. Solche Studien zeigten zudem, dass Chlorotoxin und Chlorotoxin-ähnliche Moleküle die Proliferation und Migration von Tumorzellen vermindern können. Darüber hinaus wird auch ein hemmender Effekt auf die Blutgefäßneubildung im Tumor beschrieben, sie wirken also antiangiogen.

In einer frühen klinischen Studie wurde bei 18 Patienten mit einem Rückfall eines bösartigen Glioms radioaktiv markiertes Chlorotoxin (131I-TM-601) direkt ins Tumorbett gespritzt. 2005 wurden die Studienergebnisse erstmals veröffentlicht. Die bei den Studienpatienten aufgetretenen Nebenwirkungen waren nach Einschätzung der Autoren tolerabel. Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Chlorotoxin auf das Gliom können aus dieser Studie nicht abgeleitet werden.

Chlorotoxin hat sehr wahrscheinlich mehrere Zielstrukturen auf und in Tumorzellen. Neben tumorspezifischen Chloridkanälen werden in diesem Zusammenhang vor allem die Matrix Metalloproteinase-2 (MMP-2) und das Protein Annexin A2 diskutiert. Durch Hemmung dieser Proteine könnte unter anderem die Invasivität der Tumorzellen eingeschränkt werden. Warum Chlorotoxine vor allem auf Tumorzellen wirken und welche der möglichen Mechanismen hierfür besonders wichtig sind, ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.

Ist eine künftige Krebstherapie mit Skorpiongift denkbar?

In Zukunft wollen Forscher ausnutzen, dass Chlorotoxin und chlorotoxinähnliche Substanzen spezifisch von Tumorzellen aufgenommen werden. Sie planen, diagnostische Marker wie Fluoreszenzfarbstoffe oder MRT-Kontrastmittel und auch Wirkstoffe mit tumortoxischen Eigenschaften auf diese Weise gezielt in Krebszellen zu schleusen. Vereinzelte vorklinische Untersuchungen zur Kopplung von Chlorotoxin mit Zytostatika liegen vor. Weitere Substanzen sind nach Ansicht der Experten als Kombinationspartner denkbar. Insgesamt sind hier aber noch sehr viele Fragen offen, die zunächst in Studien geklärt werden müssen. Die klinischen Daten zu 131I-TM-601 sind bislang die einzigen Ergebnisse zum Einsatz von Chlorotoxin bei Tumorpatienten, die in veröffentlichter Form gefunden werden konnten. Ob und welche Substanzen aus Skorpiongiften in Zukunft eine Rolle in der Krebsdiagnostik und Krebsbehandlung spielen werden, bleibt daher weiter abzuwarten.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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