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Tumorimpfung bei Hirntumoren: Was steckt dahinter?

Immer mehr klinische Studien zu Impfstrategien bei malignen Gliomen

Seit Jahren werden immer häufiger Immuntherapien zur Behandlung von Krebs eingesetzt. Bei Hirntumoren gilt dies insbesondere für Patienten mit malignen Gliomen. Neben der Therapie mit Viren und tumorspezifischen Antikörpern spielen hier vor allem Impfungen gegen bestimmte Tumoreigenschaften eine Rolle. Wie funktionieren diese Impfungen? Wie ist der Stellenwert einzuschätzen und welche Fragen sind noch offen? krebsinformationsdienst.med hat für Sie Hintergründe zur Tumorimpfung bei Gliomen zusammengestellt.

Wie funktioniert eine Tumorimpfung?

„Invasion des Immunsystems“: Eine T-Zelle greift eine Krebszelle an © royalstockphoto/Thinkstock
„Invasion des Immunsystems“: Eine T-Zelle greift eine Krebszelle an © royalstockphoto/Thinkstock

Veränderte körpereigene Zellen werden üblicherweise vom Immunsystem erkannt und vernichtet. Tumorzellen haben Strategien entwickelt, sich dieser körpereigenen Abwehr zu entziehen - beispielsweise indem sie tumorspezifische Merkmale verbergen oder Abwehrzellen gezielt blockieren. Auch bei Patienten mit Hirntumoren, insbesondere mit malignen Gliomen, spielen diese Mechanismen eine wichtige Rolle: Sie unterstützen die Tumorentstehung und das weitere Tumorwachstum.

Durch die Tumorimpfung soll das Immunsystem des Patienten wieder in die Lage versetzt werden, aktiv gegen die Tumorzellen vorzugehen: Um die Abwehrzellen des Patienten gezielt zu aktivieren, werden ähnlich wie bei einer Schutzimpfung Strukturen (Antigene) der Tumorzelle genutzt - meist in Kombination mit weiteren immunanregenden Faktoren. Die entsprechend aktivierten Immunzellen können dann Zellen, die diese Antigene tragen, aufspüren und vernichten. Wie eine Tumorimpfung genau abläuft, welche Tumorantigene, Immunverstärker und Immunzellen genutzt werden, ist dabei unterschiedlich.

Welchen Stellenwert hat eine Tumorimpfung bei Gliompatienten?

Die Tumorimpfung bei Gliomen zählt derzeit zu den experimentellen Therapien. In klinischen Studien in Deutschland werden bei Patienten mit malignen Gliomen derzeit vor allem Tumorimpfungen eingesetzt, die das Immunsystem über Tumoreiweiße aktivieren. Diese können zum einen direkt verabreicht werden: Man spricht dann von Protein- beziehungsweise Peptid-basierter Impfung. Alternativ werden Immunzellen des Patienten außerhalb des Körpers mit Tumorantigenen aktiviert und danach an den Patienten zurückgegeben: Ein Beispiel dafür ist die dendritische Zelltherapie.

Studiendaten können bislang nicht klar belegen, dass eine Tumorimpfung generell das Überleben bei Patienten mit Gliom verbessert und verlängert. Dies gilt sowohl für die dendritische Zelltherapie als auch für Peptid-basierte Impfungen.

Kann eine Tumorimpfung überhaupt im Gehirn wirken?

Man weiß heute, dass das Gehirn ein aktives Immunsystem besitzt, das im Austausch mit dem Immunsystem des Körpers steht - sowohl bei Gesunden als auch Menschen mit einem Hirntumor. Wissenschaftler konnten beispielsweise zeigen, dass Immunzellen, die im Rahmen einer Tumorimpfung aktiviert wurden, ins Gehirn gelangen und dort gegen Tumorzellen „vorgehen“ können. Die Experten sind daher überzeugt, dass das körpereigene Immunsystem in Zukunft bei der Bekämpfung maligner Gliome genutzt werden kann.

Dennoch stellt die Tumorimpfung bei malignen Gliomen eine besondere Herausforderung dar: Im Gegensatz zu einigen anderen Tumoren gelten maligne Gliome als eher gering immunogen: Bislang sind erst wenige tumorspezifische Antigene bekannt, auf die man das Immunsystem gezielt lenken kann. Darüber hinaus wird das lokale Abwehrsystem durch den Tumor meist weitgehend unterdrückt. Trotz ermutigender neuer Erkenntnisse über die Funktion des Immunsystems im Gehirn sind daher noch viele Fragen zur Durchführung und Wirkung der Tumorimpfung offen.

Wie kann die Tumorimpfung bei Gliomen verbessert werden?

Wissenschaftler arbeiten derzeit daran, die Konzepte der Tumorimpfung zu verbessern. Wichtige Überlegungen betreffen dabei beispielsweise die Auswahl geeigneter Tumorantigene, die Kombination mit anderen Immuntherapien aber auch die Vorhersage und Überprüfung des Therapieerfolgs:

Auswahl geeigneter Tumorantigene

Maligne Gliome sind heterogene Tumoren. Gliomzellen können nicht nur von Patient zu Patient, sondern auch innerhalb eines Tumors unterschiedliche Antigene aufweisen.

Als Tumorantigene werden für eine Tumorimpfung unter anderem zerkleinerte patienteneigene Tumorzellen, sogenannte Lysate, genutzt. Zunehmend greift man aber auf ein oder mehrere gezielt ausgewählte Tumorantigene zurück. Die Wahl des „richtigen“ Tumorantigens ist entscheidend für den Erfolg einer Tumorimpfung. Derzeit forschen Wissenschaftler intensiv nach geeigneten Zielstrukturen bei Gliomzellen. Dabei spielen unter anderem die Antworten auf folgende Fragen eine Rolle:

  • Kann das Tumorantigen das Immunsystem gut aktivieren – ist es immunogen?
  • Ist das Tumorantigen durch eine Genmutation in der Tumorzelle neu entstanden (Neoantigen) und damit nicht auf gesunden Zellen vorhanden?
  • Ist das Tumorantigen auf möglichst vielen Tumorzellen eines Tumors vorhanden?
  • Soll nur gegen ein Tumorantigen geimpft werden oder verwendet man mehrere Antigene?

Kombination mit anderen Immuntherapien

Wenn eine Immuntherapie bei Patienten mit einem malignen Gliom erfolgreich sein soll, müssen nach Einschätzung von Experten vermutlich nicht nur bestimmte Immunzellen gezielt aktiviert, sondern auch Immunblockaden gelöst werden. Wissenschaftler planen, Tumorimpfungen in Zukunft mit weiteren Medikamenten zu kombinieren. Kandidaten dafür sind beispielsweise die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren oder auch andere Wirkstoffe, die "Bremsen" des Immunsystems lösen. Weitere Details zur Immuntherapie finden Sie im Informationsblatt "Immuntherapien gegen Krebs" (PDF) oder auf unseren Internetseiten "Immuntherapien bei Krebs".

Vorhersage und Überprüfung des Therapieerfolgs

Nach eindeutigen prognostischen und prädiktiven Markern für eine Tumorimpfung wird intensiv geforscht: Sie könnten helfen, den Krankheitsverlauf besser vorherzusagen und Patienten auszuwählen, für die eine solche Therapie erfolgversprechend ist. Ein weiteres Problem, an dem derzeit ebenfalls gearbeitet wird: Mit herkömmlichen bildgebenden Methoden ist es bislang nur eingeschränkt möglich, durch die Immuntherapie bedingte Veränderungen im Bereich des Tumors von einem Fortschreiten des Tumorwachstums zu unterscheiden.

Für welche Gliompatienten kommt eine Tumorimpfung derzeit in Frage?

Patienten mit malignen Gliomen können mit den bislang eingesetzten Behandlungsverfahren in der Regel nicht dauerhaft geheilt werden. Neue, wirksame Therapien sind daher für diese Patienten dringend notwendig.

Bislang wurden Tumorimpfungen vor allem bei Gliompatienten in der Rezidivsituation untersucht. Heute werden sie in Studien zunehmend auch in der Erstbehandlung eingesetzt - zusätzlich zu der jeweiligen Standardtherapie. Der Grund: Vermutlich kann eine Tumorimpfung vor allem dann gut wirken, wenn die Tumormasse gering ist. In der Erstbehandlung gelingt es in der Regel häufiger und für eine längere Zeitspanne, den Tumor zu verkleinern, als bei einem Rezidiv. Außerdem ist das Immunsystem des Patienten zu Beginn der Behandlung in der Regel noch nicht durch intensive Behandlungen vorbelastet.

Experten raten, Tumorimpfungen derzeit nur im Rahmen klinischer Studien einzusetzen. Nur so kann verlässlich festgestellt werden, ob sie sicher und wirksam sind und bei welchen Patienten sie mit Erfolg durchgeführt werden können. Ansprechpartner auf der Suche nach einem eventuell passenden Studienkonzept sind zunächst die therapieführenden Fachärzte.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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