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Darmkrebs mit einer Impfung behandeln?

Ein Update zur mRNA-Technologie

Nach dem Erfolg gegen Corona und dem Nobelpreis für die mRNA-Technologie: Wie wirksam sind mRNA-Impfstoffe als Therapie gegen Krebs? krebsinformationsdienst.med informiert über den Stand der mRNA-Impfung bei Darmkrebs.

Mehrere Spritzen und Blutröhrchen liegen auf gelbem Hintergrund.
Pharmafirmen forschen derzeit an personalisierten Impfungen zur Krebstherapie. Dabei bestimmen sie individuelle Merkmale eines Tumors und kombinieren mRNAs, die diese Tumormerkmale kodieren. © karolina grabowska, Pexels

Durch therapeutische Impfungen soll das Immunsystem bereits vorhandene Krebszellen besser erkennen und angreifen können. Ein Problem ist, dass sich Tumorzellen aufgrund ihres körpereigenen Ursprungs kaum von gesunden Zellen unterscheiden. Damit eine Impfung erfolgreich sein kann, müssen geeignete Tumormerkmale vorhanden sein. Das sind in der Regel Erbgutveränderungen, die zu fehlerhaften Proteinabschnitten führen, sogenannten tumorspezifischen Antigenen (TSA).

Eine weitere Herausforderung ist, dass sich diese Tumormerkmale im Verlauf der Erkrankung weiter verändern können. Daher erproben Pharmafirmen derzeit Kombinations-Impfstoffe, die gegen verschiedene TSAs gleichzeitig wirken.

Wie funktioniert eine therapeutische Krebs-Impfung?

Ablauf einer mRNA-Impfung: 1. mRNA, die den Bauplan für Tumormerkmale enthält, gelangt über Lipidpartikel (Fett-Tröpfchen) direkt in Körperzellen. 2. Entsprechend des Bauplans werden Proteine gebildet und  3. Abschnitte als Neoantigene an der Zelloberfläche präsentiert.  4. Immunzellen erkennen das fremde Neoantigen und werden in Alarmbereitschaft gegen das Tumormerkmal versetzt.
Ablauf einer mRNA-Impfung. © Krebsinformationsdienst, DKFZ, erstellt mit BioRender.com

Wie bei einer vorbeugenden Impfung auch, werden hier Immunzellen mit fremden Proteinabschnitten (Antigenen) konfrontiert und so trainiert. Dadurch werden diese Immunzellen in Alarmbereitschaft gegenüber diesen Antigenen versetzt. Je nach Impfstoff verabreicht man die Proteinabschnitte direkt (Peptidimpfstoff) oder lässt sie vom Körper selbst herstellen, wie bei den DNA- oder mRNA-Impfstoffen.

Dazu muss die DNA oder die mRNA in die Zellen eingeschleust werden. Im Fall der mRNA-Impfstoffe ermöglicht das beispielsweise eine Verpackung aus sogenannten Lipid-Nanopartikeln. Sie können mit der Zellhülle verschmelzen und so die mRNA in die Zelle ausschütten (siehe Abbildung). Andere Ansätze nutzen nicht vermehrungsfähige Viren, um die Information für die Neoantigene effizient in Körperzellen einzuschleusen. Man bezeichnet diese Viren auch als Genfähren oder virale Vektoren. Der DNA-Kode für ein Neoantigen wird vorab in die virale Erbinformation integriert. In der Körperzelle kann diese DNA in Impfungs-mRNA übersetzt werden.

Vorteile der mRNA-Technologie

Impfungs-mRNA muss anders als Impfungs-DNA nicht in den Zellkern gelangen, um abgelesen zu werden. mRNA kann nicht in das Erbgut eingebaut werden.

Zudem aktiviert eine injizierte mRNA-Impfung außerhalb der Zellen bereits unspezifisch das Immunsystem. Gleiches gilt für Viruspartikel. Ein zusätzlicher Wirkverstärker (Adjuvans) ist nicht notwendig.

Virale Vektoren können dauerhaft größere Mengen der Impfungs-mRNA bilden. Im Fall des Lipid-Nanopartikel-vermittelten Transfers ist im Körper nach wenigen Tagen zwar keine Impfungs-mRNA mehr nachweisbar, eine umfassende Immunantwort gegen das Tumormerkmal (Antigen) ist jedoch angestoßen.

mRNA-Impfstoffe lassen sich außerdem sehr schnell und kostengünstig anpassen. Eine Änderung der mRNA-Sequenz beeinflusst den Herstellungsprozess im Gegensatz zu anderen Impfstoffklassen (z. B. Peptidimpfstoffen) nicht. Das operativ entfernte Tumorgewebe eines einzelnen Betroffenen kann direkt auf geeignete spezifische Erbgutveränderungen hin untersucht werden. Die mRNAs für etwa 20 bis 30 geeignet erscheinende Neoantigene können dann als personalisierter Impfstoff hergestellt werden. Damit ist die mRNA-Impfung vergleichsweise schnell einsatzfähig.

Therapeutische Impfung: Nicht für jeden Darmkrebs gleich gut geeignet

Krebsarten wie Lungenkrebs oder schwarzer Hautkrebs eignen sich wegen ihrer vielen Genveränderungen besonders gut für therapeutische Impfungen. Daher wurden und werden vor allem für diese Krebserkrankungen Studien zu diesem Ansatz durchgeführt – mit ersten Erfolgen. Dabei setzen Biotech-Firmen mittlerweile häufig auf eine Kombination der personalisierten Impfung mit Immun-Checkpoint-Hemmern, da dies die Immunantwort gegen den Tumor in Studien weiter verbessern konnte.

Bei Darmkrebs kann der Nachweis einer sogenannten Mikrosatelliteninstabilität (MSI) als Zeichen dafür dienen, dass ein Tumor viele Erbgutveränderungen anhäuft und somit zahlreiche Neoantigene bietet. MSI Darmkrebs lässt sich bereits vergleichsweise gut behandeln, indem die körpereigene Immunantwort allein durch Immun-Checkpoint-Hemmer verstärkt wird. 

Tatsächlich weisen aber nur etwa 15 Prozent der kolorektalen Karzinome eine MSI auf. Daher konzentrieren sich die Anstrengungen jetzt darauf, mikrosatellitenstabilen (MSS) und eher antigenarmen Darmkrebs besser für das Immunsystem erkennbar zu machen. Die beispielsweise beim schwarzen Hautkrebs erfolgreiche Kombination aus Immun-Checkpoint-Hemmer und personalisierter mRNA-Impfung zeigte bei Erkrankten mit MSS Darmkrebs jedoch bisher keine Wirkung.

Therapeutische Impfungen gegen Darmkrebs: Beispiele aus der Pipeline

Bisher ist noch kein mRNA-basierter therapeutischer Impfstoff gegen Krebs in Europa zugelassen. Es gibt einige Impfstoffe, die in ein beschleunigtes Zulassungsverfahren aufgenommen wurden, allerdings bisher nicht für die Behandlung von Darmkrebs. Auch zu mRNA-basierten Impfungen bei Darmkrebs laufen erste Studien:

Autogene cevumeran: Das Unternehmen BioNTech testet seinen personalisierten Impfstoff Autogene cevumeran (RO7198457/BNT122) derzeit ohne Immun-Checkpoint-Hemmer bei Darmkrebs: Im Jahr 2021 startete eine große klinische Phase-II-Studie zum kolorektalen Karzinom, in der Betroffene nach der operativen Entfernung von örtlich fortgeschrittenem MSS Darmkrebs mit der Impfung behandelt werden. Dabei erhalten Patientinnen und Patienten im Anschluss an die Chemotherapie entweder die personalisierte Impfung oder keine weitere Therapie.

Impfstoff gegen KRAS-Veränderungen: Das Unternehmen Moderna verfolgt im Hinblick auf eine therapeutische Impfung gegen MSS Darmkrebs (und andere Krebsformen) eine weitere Strategie. Dabei geht es nicht um einen personalisierten Impfstoff, sondern um einen Impfstoff (mRNA-5671/V941) gegen die häufigsten genetischen Veränderungen im KRAS-Protein, wie sie auch bei rechtsseitigem Darmkrebs häufig auftreten. Profitieren könnten prinzipiell alle Betroffenen, in deren Tumoren diese KRAS-Veränderungen vorliegen.

In einer frühen klinischen Studie kam dieser Impfstoff entweder allein oder in Kombination mit einem Immun-Checkpoint-Hemmer zur Behandlung von metastasiertem oder lokal fortgeschrittenem, inoperablem (Darm-)krebs nach Ausschöpfen der Standardtherapiemöglichkeiten zum Einsatz. Die Studie ist abgeschlossen, die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet.

Virale Vektoren: Die beiden genannten Studien nutzen Lipid-Nanopartikel, um die Impfungs-mRNA in Körperzellen einzuschleusen. Die Firma Gritstone Oncology verwendet dagegen virale Vektoren, um patientenspezifische Neoantigene in Körperzellen bilden zu lassen. In einer frühen Studie konnten einzelne Betroffene mit metastasiertem MSS Darmkrebs von dieser Form der therapeutischen Impfung (GRT-C901/GRT-R902) zusammen mit Immun-Checkpoint-Hemmern profitieren. Eine größere Folgestudie ist aufgelegt, hat aber noch keine Betroffenen aufgenommen.

Fazit

Mikrosatelliteninstabiler (MSI) Darmkrebs weist viele Erbgutveränderungen und damit Neoantigene auf. Bei diesen eher seltenen Tumoren kann daher die körpereigene Immunantwort allein durch Immun-Checkpoint-Hemmer so verstärkt werden, dass die Erkrankung zeitweise aufgehalten wird.

Mikrosatellitenstabiler (MSS) Darmkrebs ist dagegen ein immunologisch "kalter" Tumor mit meist nur wenigen geeigneten Antigenen. Bei dieser großen Mehrheit der Darmkrebstumoren erzielten Immun-Checkpoint-Hemmer allein keine nennenswerten Behandlungserfolge. Die mRNA-Impfung soll eine gegen den Tumor gerichtete körpereigene Immunantwort gegen möglichst viele der dennoch vorhandenen Antigene anstoßen, um beispielsweise die Wirkung von Checkpoint-Hemmern zu verstärken.

Auch weitere Kombinationen mit anderen, gezielteren Therapien machen weiterhin Hoffnung für die Zukunft.

Insgesamt haben sich mRNA-Impfungen bisher als gut verträglich und nebenwirkungsarm erwiesen und könnten auch bei Darmkrebs als ein neuer Therapiebaustein zur verbesserten langfristigen Tumorkontrolle in geeigneten Erkrankungssituationen beitragen.



krebsinformationsdienst.med: Service für Fachkreise



Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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