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Thrombose-Risiko bei Krebs im Blick haben

Neue Thromboembolie-Leitlinie: auch Empfehlungen für Tumorpatienten

Viele Krebskranke haben ein erhöhtes Risiko, eine venöse Thrombose oder Lungenembolie (VTE) zu erleiden. Nun wurde die deutsche VTE-Leitlinie aktualisiert. Sie gibt neue Empfehlungen für Tumorpatienten und -patientinnen.

Grafik Blutgerinnsel: Thrombus verstopft Blutgefäß
Bei Krebs sollte man auch bei unspezifischen Symptomen an eine Thrombose denken. © SiberianArt, iStock

Im Februar 2023 ist die deutsche S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie neu erschienen, unter Beteiligung zahlreicher wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Im Vergleich zur Vorversion aus dem Jahr 2015 geben die Expertinnen und Experten aktualisierte Empfehlungen – speziell auch für Krebspatienten.

Im Kapitel "Malignom-assoziierte venöse Thromboembolie" der Leitlinie können sich Interessierte über die wissenschaftliche Datenlage informieren. Wichtige Neuerungen für Tumorpatienten betreffen die Behandlung venöser Thromboembolien (VTE) mit gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulanzien): Insgesamt haben niedermolekulare Heparine und direkte orale Antikoagulanzien gegenüber den traditionellen Vitamin-K-Antagonisten an Stellenwert gewonnen.

Warum die VTE gerade für Krebsbetroffene so bedeutend ist und wie die VTE-Therapie bei Krebs aussieht, fassen wir im Folgenden für Sie zusammen. Viele weitere Details zum Thema finden Sie direkt in der Leitlinie1.

Hintergrund: Venöse Thromboembolie bei Krebs

Manche Tumoren bilden gerinnungsaktivierende Faktoren, die eine Entstehung von Gerinnseln in Blutgefäßen begünstigen. Auch der Tumor selbst kann akut eine Thrombose auslösen, etwa durch lokalen Druck oder Einwachsen in Gefäße. Darüber hinaus erhöhen Krebsbehandlungen und patientenbedingte Faktoren das Risiko für venöse Thromboembolien.

Unter dem Begriff venöse Thromboembolien (VTE) werden tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien zusammengefasst. Im Vergleich zu Patientinnen und Patienten ohne Krebserkrankung haben Krebsbetroffene ein 4- bis 7-fach höheres Risiko für VTE. Geschätzt entwickeln sich bei etwa 20 Prozent aller Krebspatienten Thrombosen2.

Wichtig zu wissen: Die meisten venösen Thromboembolien treten innerhalb der ersten 6 Monate nach der Krebsdiagnose auf.

Venöse Thromboembolie: Risikofaktoren

Die Ursachen für thromboembolische Ereignisse können sehr verschieden sein. Folgende Risikofaktoren (Auswahl) erhöhen das Thrombose-Risiko bei an Krebs Erkrankten3,4:

  • Art und Stadium der Krebserkrankung: Krebs der Bauchspeicheldrüse, Lunge, Niere, des Eierstocks, Hodens, Gehirns und Magens; ferner bei Lymphomen und Tumoren im fortgeschrittenen Stadium (metastasiert)
  • Art und Intensität der Krebsbehandlung: Operation, Bestrahlung, Chemotherapie, Immuntherapie, antihormonelle Therapie, zentraler Venenzugang und Transfusionen
  • patientenbezogene Faktoren: reduzierte Mobilität, venöse Thromboembolien in der Vorgeschichte, Infektionen und höheres Alter

Anhand von standardisierten Erfassungs- und Bewertungsbögen (Risiko-Score) kann die individuelle Wahrscheinlichkeit für eine venöse Thromboembolie (VTE) ermittelt werden. Außerdem spielt die ärztliche Erfahrung eine Rolle.

Zur Diagnostik bei Verdacht auf eine VTE lesen Sie weiter in der aktuellen Leitlinie1. Wichtig ist, bei Tumorpatienten jeden Verdacht auf eine VTE zeitnah so weit abzuklären, dass eine individuelle therapeutische Entscheidung getroffen werden kann. Die Krankheitssituation des Patienten oder der Patientin ist dabei angemessen zu berücksichtigen.

Venöse Thromboembolie: Antikoagulation

Die S2k-Leitlinie geht in ihrem Unterkapitel "Antikoagulanzientherapie bei Malignom-assoziierter VTE" gesondert auf die verschiedenen Phasen der Behandlung ein:

  • initiale Therapie (meist 1 bis 3 Wochen),
  • Erhaltungstherapie (für 3 bis 6 Monate),
  • danach gegebenenfalls Sekundärprophylaxe, um die Wahrscheinlichkeit für eine erneute VTE zu mindern. Sie kann auch langfristig fortgeführt werden – abhängig von Nutzen, Risiken und Wunsch der Patientin oder des Patienten. Empfohlen wird eine regelmäßige Neubewertung der individuellen Gesamtsituation.

Bei Krebspatienten werden in erster Linie Antikoagulanzien wie Faktor-Xa-Inhibitoren eingesetzt. Es stehen mehrere Medikamente zur Verfügung:

  • indirekte Faktor-Xa-Inhibitoren: niedermolekulares Heparin (NMH), Fondaparinux und unfraktioniertes Heparin (UFH). Sie werden subkutan beziehungsweise intravenös verabreicht, also parenteral.
  • direkte Faktor-Xa-Inhibitoren: Abkürzung DXI, dazu gehören Apixaban, Rivaroxaban und Edoxaban. Zusammen mit dem direkten Thrombin-Inhibitor Dabigatran werden diese Substanzen auch als direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) bezeichnet.

Zum möglichen Wechsel von NMH auf DXI oder umgekehrt sowie zur Frage, wie lange die Antikoagulation im Einzelfall fortzusetzen ist, finden Sie Hinweise in der neuen Leitlinie. Erwähnenswert ist außerdem der neue Therapiealgorithmus (Abb. 6.3) auf S. 141, der Ihnen helfen kann, zwischen oraler und parenteraler Antikoagulanzientherapie abzuwägen.

Fazit für die Praxis

Primärprophylaxe: Beispiel Hodenkrebs

Aufgrund des erhöhten VTE-Risikos bei Männern mit Hodenkrebs unter Cisplatin-Therapie empfiehlt die deutsche S3-Leitlinie eine Thrombose-Prophylaxe3. Die Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) rät zudem – wenn möglich – von zentralen Venenkathetern während der Erstlinien-Chemotherapie ab5.

Tendenziell wird die Zahl der Krebs-assoziierten venösen Thromboembolien (VTE) künftig zunehmen, da moderne onkologische Therapien das Leben krebskranker Menschen verlängern.

Mittlerweile haben sich die Optionen zur Antikoagulation erweitert: Neben den Heparinen können auch orale Medikamente zur Behandlung und Sekundärprophylaxe der VTE infrage kommen. Bei der Auswahl einer geeigneten Therapie kann Sie die evidenzbasierte S2k-Leitlinie unterstützen. Für die individuelle Therapieentscheidung ist es zudem wichtig, folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Sicherheit (abhängig vom individuellen Blutungsrisiko und von substanzspezifischen Kontraindikationen)
  • Resorption bei oraler Therapie und mögliche Wechselwirkungen mit der Antitumortherapie
  • Patientenwunsch und Compliance (orale versus parenterale Medikation)

Das könnte Sie auch interessieren: Die S2k-Leitlinie geht nicht auf die Primärprophylaxe ein. Welche Maßnahmen zu empfehlen sind, um einer ersten VTE bei Krebs vorzubeugen, finden Sie in der Leitlinie der Internationalen Initiative für Thrombose und Krebs (ITAC)2.

Letztere informiert auch über die VTE-Therapie bei Tumorpatienten mit COVID-19-Erkrankung: Kurzgefasst, das Vorgehen unterscheidet sich nicht – ob mit oder ohne Corona-Infektion.



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Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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