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Tamoxifen morgens oder abends einnehmen?

Antihormontherapie bei Brustkrebs

Eine häufig gestellte Frage von Brustkrebs-Patientinnen ist, ob man Tamoxifen zu einer bestimmten Tageszeit einnehmen sollte. Wirkt Tamoxifen abends womöglich besser als morgens? Ist es dann besser verträglich?

Junge Frau sitzt auf dem Bett mit einem Tablettenblister in der einen und einem Glas Wasser in der anderen Hand.
Ist es besser, Tamoxifen abends oder morgens einzunehmen? Diese Frage stellen sich viele Patientinnen, die Tamoxifen gegen Brustkrebs erhalten. © Kampus Production, Pexels

Tamoxifen ist ein selektiver Östrogenrezeptor-Modulator und ein fester Bestandteil verschiedener Behandlungsschemata bei Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom. Es ist zugelassen in der adjuvanten und der metastasierten Situation. In Brustkrebs-Leitlinien werden 20 mg Tamoxifen einmal täglich empfohlen. Laut Fachinformation sollen Patientinnen die Tabletten unzerkaut mit ausreichend Flüssigkeit wie einem Glas Wasser zu einer Mahlzeit einnehmen. Die Hersteller empfehlen keine spezielle Tageszeit (morgens oder abends) für die Einnahme von Tamoxifen.

Tamoxifen und Biorhythmus

Viele physiologische Prozesse im Körper folgen einem Tag-Nacht-Rhythmus, einer zirkadianen Uhr.

Zirkadianer Rhythmus könnte Medikamentenspiegel beeinflussen: Auch die Organdurchblutung und gastrointestinale Funktionen wie die Aktivität von Verdauungsenzymen oder dem Leberstoffwechsel unterliegen dem zirkadianen Rhythmus. Dadurch kann die Aufnahme, Verteilung, Metabolisierung und Elimination von Arzneistoffen zirkadianen Schwankungen unterliegen1. Könnte also die Plasmakonzentration von Tamoxifen und seiner Metaboliten vom Einnahmezeitpunkt abhängen?

Blutdrucksenker abends wirksamer: Erst kürzlich zeigte eine große klinische Studie, dass der tägliche Einnahmezeitpunkt von Antihypertensiva deren Wirksamkeit entscheidend beeinflusst: Wurden die Antihypertensiva abends eingenommen, sank der Blutdruck stärker und schwere kardiovaskuläre Ereignisse traten seltener auf2.

AUC (Englisch: "area under the curve")

Die AUC ist ein Maß für die Substanzmenge im Blut. Um die AUC zu bestimmen, misst man die Konzentration des Arzneimittels im Blut in festgelegten Zeitintervallen nach Verabreichung.

  • Für ein oral verabreichtes Medikament hat die Konzentrations-Zeit-Kurve einen typischen Verlauf, der sich aus der Geschwindigkeit des Übergangs des Wirkstoffs in den systemischen Blutkreislauf und der Ausscheidungskinetik zusammensetzt.
  • Bei intravenöser Verabreichung ergibt sich eine Konzentrations-Zeit-Kurve, die durch die Ausscheidungskinetik bestimmt ist.

Einnahmezeitpunkt von Tamoxifen klinisch nicht relevant: Ob die Pharmakokinetik von Tamoxifen abhängig vom Einnahmezeitpunkt ist, untersuchten Forschende bei Mäusen sowie bei Brustkrebs-Patientinnen3.

  • Im Mausmodell war die Menge von Tamoxifen im Blut (Area under the Curve: AUC, siehe Infokasten) am höchsten, wenn Tamoxifen um Mitternacht verabreicht wurde (statistisch nicht signifikant).
  • Bei Brustkrebs-Patientinnen (n = 27) verursachte der Einnahmezeitpunkt von Tamoxifen nur geringfügige, klinisch nicht relevante Unterschiede pharmakokinetischer Parameter.

Ob Tamoxifen morgens oder abends eingenommen wird, beeinflusst die Pharmakokinetik bei den Patientinnen vermutlich nur geringfügig und sollte daher als nicht klinisch relevant beurteilt werden, so die Forschenden. Anhand der aktuellen Studienlage lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob sich der Einnahmezeitpunkt auf die klinische Wirksamkeit und das Nebenwirkungsspektrum von Tamoxifen auswirkt.

Derzeit läuft in Kanada eine klinische Studie mit dem Ziel, eine morgendliche mit einer abendlichen Einnahme der Antihormontherapie bei Brustkrebspatientinnen in Bezug auf unerwünschte Nebenwirkungen und Patientenadhärenz zu vergleichen (NCT04864405).

Tamoxifen und Melatonin

Fachleute diskutieren einen möglichen Einfluss des "Schlafhormons" Melatonin auf die Wirksamkeit von Tamoxifen. Licht hemmt dosisabhängig die Bildung von Melatonin in der Zirbeldrüse (Epiphyse). Der Melatoninspiegel steigt bei Dunkelheit im Laufe der Nacht an.

Grundlagenforschung – Melatonin könnte Krebs hemmen: In Zellkulturversuchen sowie im Tiermodell gibt es Hinweise darauf, dass Melatonin Wachstum, Metastasierung und Angiogenese von Brustkrebszellen hemmen könnte4-8.

Grundlagenforschung – Lichtexposition nachts könnte Krebswachstum verstärken: Eine nächtliche Lichtexposition und die daraus resultierende Störung des zirkadianen Rhythmus wird in der Grundlagenforschung mit vermehrtem Brustkrebswachstum in Verbindung gebracht: So fanden sich bei Mäusen, die nächtlichem Licht ausgesetzt waren, erniedrigte Melatoninwerte sowie ein erhöhtes Brustkrebswachstum. Die Gabe von Melatonin konnte das Tumorwachstum reduzieren9.

Grundlagenforschung – verbessert Melatonin die Wirkung von Tamoxifen? Eine weitere Tierstudie legt nahe, dass Melatonin die Wirkung einer Antihormontherapie mit Tamoxifen beeinflussen könnte10. In der Studie wurden Ratten Östrogenrezeptor-positive Mammakarzinome von Brustkrebs-Patientinnen transplantiert. Die Tiere erhielten daraufhin einen aktiven Metaboliten von Tamoxifen: 4-Hydroxytamoxifen (4OH-Tamoxifen). Sie lebten 12 Stunden in normaler Helligkeit und 12 Stunden entweder in vollkommener Dunkelheit oder in leichtem Dämmerlicht.

  • Das Dämmerlicht verhinderte bei den Ratten die Bildung von Melatonin.
  • Die Tumoren dieser Ratten wuchsen schneller und eine Therapie mit 4OH-Tamoxifen wirkte nicht.
  • Erhielten die Ratten aus der Dämmerlicht-Gruppe jedoch Melatonin, wuchsen ihre Tumoren langsamer und sprachen wieder auf 4OH-Tamoxifen an.
  • Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Melatonin die Sensitivität von Brustkrebszellen gegenüber Tamoxifen erhöhen könnte.

Einfluss auf andere Krebstherapien: Ein solcher synergistischer Effekt von Melatonin wird auch bei anderen Anti-Brustkrebs-Therapien untersucht. In einer In-vitro-Studie zur Exposition von Brustkrebszellen mit ionisierenden Strahlen konnte die Vorbehandlung mit Melatonin deren Radiosensitivität erhöhen11. Ebenfalls im Labor konnte eine zusätzliche Melatonin-Gabe die Wirksamkeit des Zytostatikums Doxorubicin bei Brustkrebszellen verbessern12.

Keine Aussage möglich für Brustkrebs-Patientinnen: Zu beachten ist, dass diese Ergebnisse aus der Grundlagenforschung nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden können. Bei Brustkrebs-Patientinnen ist bisher nicht gezeigt, dass genau bemessene Lichtmengen und die Dauer von Hell-Dunkel-Perioden die Wirkung von Tamoxifen und/oder das Tumorwachstum beeinflussen. Daher kann wissenschaftlich nicht sicher beantwortet werden, ob und wie sich eine schwache Lichtquelle (wie etwa eine LED-Leuchte oder das Display eines Mobiltelefons oder Tablets) nachts auf die Wirksamkeit einer Tamoxifen-Therapie auswirken könnte.

Fazit

Keine klare Evidenz für abendliche Tamoxifengabe: Bislang gibt es keine aussagekräftigen klinischen Daten, die dafür sprechen, Tamoxifen zu einer bestimmten Tageszeit einzunehmen13.

Einnahmezeitpunkt für gute Adhärenz individuell festlegen: Wichtiger für die Prognose ist bei Brustkrebspatientinnen mit einer über mehrere Jahre dauernden Antihormontherapie die Adhärenz – also dass die Medikamente tatsächlich jeden Tag eingenommen werden14. Über die Hälfte der Brustkrebs-Patientinnen bricht die adjuvante Antihormontherapie vorzeitig ab oder nimmt sie nicht wie verschrieben ein15.

Tamoxifen sollte daher am besten zu der Tageszeit eingenommen werden, zu der es unwahrscheinlicher ist, die Einnahme zu vergessen. Zudem zeigen Erfahrungsberichte, dass sich die Verträglichkeit von Tamoxifen zwischen der Einnahme am Morgen und am Abend von Patientin zu Patientin unterscheiden kann13. Patientinnen können daher in Absprache mit dem begleitenden Fachpersonal verschiedene Einnahmezeiten für Tamoxifen ausprobieren, um so den besten Zeitpunkt für sich zu finden.



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Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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