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Blasenkrebs: Was gibt es Neues?

Immun-Erhaltungstherapie, BCG & Co

Rasante Entwicklungen gibt es derzeit beim Urothelkarzinom: Studien mit positiven Ergebnissen, aber auch negative Studien halten die urologische Onkologie in Atem. Welche Neuerungen verändern die Praxis bei Blasenkrebs?

Harnblase-Harnableitung © Magic mine, Shutterstock
Der obere Harntrakt besteht aus 2 Nierenbecken und 2 Harnleitern, der untere aus Harnblase und Harnröhre. © Magic mine, Shutterstock

Seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 finden die meisten Krebskongresse virtuell statt – etwa ASCO, DGU und ESMO. krebsinformationsdienst.med hat sie verfolgt und einige Highlights zum Thema Blasenkrebs für Sie ausgewählt.

Entsprechend der Verteilung der urothelialen Oberfläche im Harntrakt, finden sich rund 90 % aller Urothelkarzinome in der Harnblase. Pro Jahr erkranken in Deutschland rund 30.000 Personen an einem Harnblasenkarzinom.

Spannende Forschungsdaten gibt es sowohl für das nicht-muskelinvasive als auch für das muskelinvasive Harnblasenkarzinom. Viel Aufsehen hat die JAVELIN Bladder 100-Studie1 erregt: Sie leitet einen Paradigmenwechsel in der Behandlung des nicht-operablen Blasenkarzinoms ein. Ebenfalls praxisrelevant sind die Ergebnisse der NIMBUS-Studie2: für das nicht-muskelinvasive Blasenkarzinom mit hohem Rückfallrisiko.

Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenem Blasenkrebs: ein Paradigmenwechsel

Bisheriger Standard in der Erstlinie bei nicht-operablem muskelinvasivem Harnblasenkarzinom sind 4 – 6 Zyklen einer kombinierten platinbasierten Chemotherapie. Bei Patientinnen und Patienten, für die eine cisplatinbasierte Chemotherapie infrage kommt, wird Cisplatin/Gemcitabin bevorzugt. Ist dies nicht der Fall, ist Carboplatin/Gemcitabin eine Alternative.

Spricht der Tumor auf die Behandlung an oder bleibt die Erkrankungssituation stabil, bietet der Arzt typischerweise eine Behandlungspause an. Eine weitere Therapie wird erst dann eingeleitet, wenn die Erkrankung erneut fortschreitet. Die Zweitlinie besteht dann in der Regel aus einer Immuntherapie mit einem Checkpoint-Hemmer.

Neues Studiendesign: Chemo-Immun-Switch

Die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist eine wichtige Behandlungssäule in der Krebsmedizin. Bei jeder Tumorart ist es wichtig, die optimale Therapiereihenfolge und -kombination herauszufinden. Von Entität zu Entität kann sich der Stellenwert der modernen Immuntherapie unterscheiden.

Beim Urothelkarzinom zeigte jetzt erstmals die JAVELIN Bladder 100-Studie: Betroffene leben mit einer Immun-Erhaltungstherapie, die direkt an eine stabilisierende Chemotherapie angeschlossen wird, deutlich länger als mit der üblichen Zweitlinien-Immuntherapie. Immun-Chemo-Kombinationen upfront hingegen führten bislang nicht zu einem Überlebensvorteil.

JAVELIN Bladder 100-Studie: Phase-III-Studie

In dieser multizentrischen Studie1 wurden 700 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom untersucht: Der Tumor musste auf die klassische Chemotherapie angesprochen haben oder zumindest stabil geblieben sein – und dies für ein therapiefreies Intervall von 4 bis 10 Wochen seit der letzten Zytostatika-Dosis.

Die Patienten, bei denen die Erkrankung nicht weiter fortgeschritten war, wurden auf zwei Therapiearme randomisiert: Während die Kontrollgruppe regulär nachbeobachtet wurde, erhielt die Behandlungsgruppe zusätzlich eine Erhaltungstherapie mit dem PD-L1-Antikörper Avelumab. Die Therapie mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor wurde fortgesetzt, solange sie wirksam und verträglich war.

Studienergebnisse der JAVELIN Bladder 100-Studie

  • Die Patienten wurden im Median mehr als 19 Monate nachbeobachtet. Primäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben in der Gesamtpopulation und in der Subpopulation mit PD-L1-positiven Tumoren.
  • Die Auswertung der Gesamtpopulation ergab, dass die Erhaltungstherapie mit Avelumab die Überlebenszeit um rund 7 Monate verlängerte (median 21,4 Monate Gesamtüberleben im Vergleich zu 14,3 Monaten in der Kontrollgruppe, HR 0,69). Das mediane 1-Jahres-Überleben lag bei 71,3 % mit versus 58,4 % ohne Avelumab.
  • Noch deutlicher profitierten Patienten, deren Tumoren PD-L1-positiv waren (HR 0,56). Hier lag das mediane 1-Jahres-Überleben bei 79,1 % in der Avelumab-Gruppe im Vergleich zu 60,4 % in der Kontrollgruppe. Das mediane Gesamtüberleben betrug 17,1 Monate unter reinem Follow-up, unter Avelumab war es noch nicht erreicht.
  • Ein komplettes Ansprechen des Tumors wurde bei 6 % aller mit Avelumab behandelten Patienten beobachtet. In der PD-L1-positiven Subpopulation waren es sogar 9,5 %. Im Vergleich dazu sprach der Tumor nur bei 0,6 % der mit Zytostatika therapierten Patienten vollständig an, unabhängig von den Biomarkern.
  • Unerwünschte Ereignisse in der Avelumab-Gruppe entsprachen den bekannten immunvermittelten Nebenwirkungen einer Checkpoint-Hemmer-Monotherapie. Rund 12 % der Studienteilnehmer brachen die Erhaltungstherapie vorzeitig ab. 2 Todesfälle schrieben die Prüfer der Immuntherapie zu.

Immun-Switch-Erhaltungsstrategie: die Rationale

Ständige Herausforderung der klinischen Forschung ist es, die Wirksamkeit von Krebstherapien zu erhöhen und gleichzeitig ihre Nebenwirkungen zu minimieren. Bei 40 – 50 % der Patienten mit einem Urothelkarzinom sprechen die Tumoren auf die platinbasierte Chemotherapie an. Allerdings kann man sie nur über eine begrenzte Dauer geben, da ihre Toxizität dosisabhängig kumuliert.

Nach der Induktions-Chemotherapie hält die Tumorkontrolle üblicherweise nicht lange an: Bei den meisten Betroffenen schreitet die Krankheit innerhalb eines Dreivierteljahres weiter fort. Ärzte stellen sich hier also die Frage, mit welcher Strategie sich das Therapieansprechen verlängern und "vertiefen" lässt.

Prognose und Lebensqualität verbessern

Bekannt ist3, dass bestimmte Zytostatika wie Cisplatin und Gemcitabin die Immunantwort auf den Tumor erhöhen können. Durch die Chemotherapie exprimiert und präsentiert der Tumor vermehrt neue Antigene. Die Folge: Die Neoantigene sensibilisieren die Krebszellen gegenüber der Immuntherapie. So können Checkpoint-Hemmer den Krebs leichter zerstören.

Statt nach einer Erstlinien-Chemotherapie auf eine Progression zu warten, kann eine frühe Erhaltungstherapie die Prognose verbessern – effektiver als eine Therapie in der zweiten Linie. Hintergrund: Die Tumorlast ist begrenzt und die Krebszellen noch nicht resistent. Wechselt man zudem auf ein anderes Wirkprinzip wie etwa die Immuntherapie, ist die Therapie für Patienten verträglicher als bei Fortführen der Primärtherapie.

Nicht-muskelinvasiver Blasenkrebs: BCG bleibt

Blasenkrebs-Leitlinien

Welche Instillations-Schemata die deutsche S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom für die adjuvante BCG-Therapie empfiehlt, können Sie im Leitlinienprogramm Onkologie nachlesen.

Für Ihre Patientinnen und Patienten gibt es die gut verständliche Patientenleitlinie.

Bei knapp der Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Harnblasenkarzinom wächst der Blasenkrebs nicht-muskelinvasiv. Je nach Risikoprofil sind Rückfall und Progression nach der operativen Entfernung des Tumors unterschiedlich wahrscheinlich. Bei hohem Risiko empfehlen Experten in der deutschen S3-Leitlinie Betroffenen eine adjuvante intravesikale Instillationstherapie mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) – über 12 Monate bis zu 3 Jahren.

NIMBUS-Studie: negative Studie

In der NIMBUS-Studie2 untersuchten Wissenschaftler die Frage: Lassen sich die BCG-Gaben reduzieren, um die Blasenspülungen für Patienten verträglicher zu machen – ohne deshalb an Wirksamkeit einzubüßen? Die Studie wurde vorzeitig beendet, weil die experimentelle Behandlung der Standardtherapie unterlegen war. Fazit: Derzeit bleibt das Standard-Instillations-Schema mit fester Induktions- und Erhaltungsphase bestehen.

Aber: günstigere Prognose für Hochrisiko-Patienten

Anders als erwartet, traten bei den Studienteilnehmern nach der BCG-Standardtherapie vergleichsweise wenig Rückfälle auf. Wichtig zu wissen: Um das individuelle Risiko zu berechnen, nutzen Urologinnen und Urologen seit 2006 bzw. 2011 verschiedene Bewertungstabellen – etwa von der Europäischen Organisation für die Erforschung und Behandlung von Krebs (EORTC) oder der spanischen Arbeitsgruppe CUETO (Club Urológico Español de Tratamiento Oncológico).

Schon in der Vergangenheit vermuteten Experten, dass die EORTC- und CUETO-Tabellen die Rezidivraten zu hoch einschätzen. Dies bestätigt nun auch die Studie NIMBUS: Mit 11 % nach 12 Monaten im Standardarm lag die Rückfallrate deutlich niedriger als die in der EORTC-Tabelle angegebenen Wahrscheinlichkeiten, je nach Rezidiv-Score 24 – 61 %. In der CUETO-Tabelle sind dafür Raten von 7 bis rund 30 % aufgelistet.

Erklärung für die Diskrepanz: Die Risikotabellen von EORTC und CUETO beruhen auf älteren Daten. Seitdem hat sich das Vorgehen geändert: Beispielsweise sind Nachresektion (Re-TUR-B) und BCG-Erhaltungstherapie bei Patienten mit hohem Rezidiv- und Progressionsrisiko inzwischen etabliert. Dadurch steigen die Heilungschancen von Hochrisiko-Patienten.

Fazit für die Praxis

Die Therapielandschaft beim Harnblasenkarzinom wird immer komplexer. Für das fortgeschrittene muskelinvasive Urothelkarzinom steht die Switch-Erhaltungstherapie mit Avelumab in den Startlöchern. Die Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA ist beantragt. Allerdings kommt sie nur für einen Teil der Betroffenen infrage:

  • für Patienten, die platinfit sind,
  • keinen Tumorprogress unter der Chemotherapie haben
  • und keine Kontraindikation gegen Checkpoint-Hemmer.

Außerdem ist zu bedenken: Bislang ist noch offen, welche Sequenztherapie nach der Erhaltungstherapie folgen soll.

Nicht nur positive, sondern auch negative Studien nützen dem medizinischen Fortschritt. Sie können den aktuellen Therapiestandard bestätigen. Ein Beispiel dafür ist das BCG-Instillationsschema beim nicht-muskelinvasiven Blasenkrebs. Für Patienten mit hohem Risiko ändert es sich vorerst nicht.

Für eine gute Therapieentscheidung weiterhin wichtig bleiben der Informationsaustausch und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient. Sie dienen dazu, Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen sorgfältig abzuwägen. Nicht zu vergessen: An die Teilnahme an klinischen Studien denken!



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