Archiv

Krebsforschung: Das unspezifische Immunsystem gezielt nutzen

Das "Don't eat me"-Signal CD47

Immun-Checkpoint-Hemmer sind in der Krebsmedizin inzwischen etabliert. Mit Magrolimab erforschen Ärzte erstmals Checkpoints auf unspezifischen Fresszellen. Ein vielversprechender Ansatz für neue Immuntherapien.

Forscher pipettiert unter einer sterilen Werkbank
Krebsforschung © ThisisEngineering RAEng, Unsplash

Das Immunsystem steht seit längerem im Fokus der Krebsforschung. Bisher haben sich Wissenschaftler dabei vor allem auf das sogenannte adaptive Immunsystem konzentriert. Dazu gehören B- und T-Zellen, die sich gezielt gegen Tumor-Antigene richten. Aber auch das angeborene, unspezifische Immunsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Tumorbekämpfung. Mit Makrophagen ("Fresszellen") haben Wissenschaftler typische Vertreter des unspezifischen Abwehrsystems in den Blick genommen, um neue Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.

Ähnlich wie im adaptiven Immunsystem gibt es auch im angeborenen Immunsystem Checkpoints, sogenannte Bremsen der Abwehrfunktion. Tumorzellen nutzen diese, um das Immunsystem zu umgehen. Dazu gehört das CD47-Protein: Es wirkt als "Friss-mich-nicht"-Signal (englisch: don't eat me). Tumorzellen, die CD47 vermehrt auf ihrer Oberfläche exprimieren, werden von Makrophagen nicht mehr angegriffen.

Magrolimab ist der erste CD47-Antikörper in klinischer Prüfung bei unterschiedlichen Tumorerkrankungen. Aufgrund vielversprechender Daten bei Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) erhielt der Antikörper im September 2020 von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde den Status "Breakthrough Therapy". In den USA wird der Zulassungsprozess dadurch beschleunigt.

"Don't eat me" – das CD47-Signal

Natürliche Fresszellen wie Makrophagen erkennen defekte oder bösartig veränderte Zellen über Strukturen auf deren Zelloberfläche, sogenannte "Eat-me"-Signale. Die Fresszellen verleiben sich die gestörten Zellen dann durch Phagozytose ein und machen sie unschädlich. In einem zweiten Schritt präsentieren Makrophagen gegebenenfalls einzelne Tumor-Antigene und aktivieren so auch gezielt das spezifische Immunsystem.

Viele Tumorzellen stellen auf ihrer Zelloberfläche verstärkt "Don't eat me"-Signale bereit, die Makrophagen an ihrer Arbeit hindern. Ein solches "Friss-mich-nicht"-Signal ist das Protein CD47. Bindet CD47 an den Makrophagen-Rezeptor SIRPα (Signal Regulatory Protein Alpha), wird die Phagozytosefähigkeit der Fresszelle gebremst. Die Tumorzellen bleiben verschont.

"Just eat me" – die Bremse lösen

Bild 1: Krebszellen mit "eat-me“-Signalen und dem "don’t eat me"-Signal CD47 werden durch Makrophagen nicht phagozytiert.  Bild 2: Blockieren CD47-Antikörper das "don’t eat me"-Signal, wird die Phagozytose über "eat-me"-Signale eingeleitet. Bild 3: Gesunde Körperzellen haben kein "eat-me"-Signal. Die CD47-Blockade löst keine Phagozytose aus.
Wirkmechanismus des CD47-Antikörpers Magrolimab © Krebsinformationsdienst, DKFZ, erstellt mit BioRender.com

Hemmstoffe gegen CD47/SIRPα verhindern, dass CD47 an SIRPα bindet. Dadurch wird die "Bremse" in den Makrophagen gelöst. Da auf einer Tumorzelle als veränderter Körperzelle in der Regel gleichzeitig "Eat-me"-Signale vorhanden sind, können die Fresszellen die Phagozytose einleiten und die Krebszelle vernichten.

Gesunde Zellen sind geschützt: Auch Körperzellen tragen meist CD47 auf ihrer Zelloberfläche. Sie brauchen das Signal aber normalerweise nicht, um sich vor Makrophagen zu schützen, denn: Sind die Zellen intakt, fehlt ihnen ein "Eat-me"-Signal. Eine CD47-Antikörpertherapie bleibt hier folgenlos.

Ältere oder defekte Körperzellen sind gefährdet: Tragen sie in gewissem Umfang "Friss-mich"-Signale, können diese Zellen unter der Therapie mit CD47-Antikörpern rascher "entsorgt" werden. Von Bedeutung ist dies vor allem für ältere, aber noch funktionsfähige roten Blutzellen. Unter der Behandlung kann es zu einer relevanten Blutarmut kommen.

Präklinische Grundlagenforschung

Beschrieben wurde das Protein CD47 bereits vor über 30 Jahren als "Integrin-assoziiertes Protein" in Leukozyten. Experimente der Grundlagenforschung zeigten, dass CD47 sowohl bei hämatologischen Tumoren als auch bei soliden Tumoren stark exprimiert wird. Dies führt zu einer verminderten Phagozytose durch Makrophagen. Klinisch kann dies mit aggressiveren Erkrankungsverläufen verbunden sein. Inzwischen ist CD47/SIRPα als universelles Signal anerkannt, das Krebszellen nutzen, um dem unspezifischen Immunsystem zu entgehen.

Labor- und Tierversuche: Alles in allem bot die präklinische Forschung eine gute Grundlage, Medikamente zu entwickeln, die diesen Mechanismus hemmen. Krebsforscher konstruierten CD47-Antikörper und weitere Hemmstoffe des CD47/SIRPα-Signals und untersuchten diese in Labor- und Tierversuchen. Erste Studien waren erfolgversprechend. Sie zeigten zudem, dass durch die verstärkte Aktivität der Makrophagen auch das spezifische Immunsystem stimuliert wird.

Erste "First-in-Man"-Studien bei Krebs

Inzwischen gibt es auch erste klinische Daten bei Krebspatienten, hauptsächlich bei verschiedenen Blutkrebserkrankungen.

Als Monotherapie wenig wirksam: Erfahrungen mit dem "First-in-Man" CD47-Antikörper Magrolimab (Hu-5F9) bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML), myelodysplastischem Syndrom (MDS) und soliden Tumoren waren zunächst enttäuschend1. Als Monotherapie war der Antikörper bei den Patienten nur wenig wirksam. Möglicherweise reichen die vorhandenen "Eat-me"-Signale auf den Krebszellen allein für eine effektive Immunantwort nicht aus.

In Kombination effektiver: In weiteren Studien wurde Magrolimab deshalb mit Medikamenten kombiniert. Sie sollen die "Eat-me"-Signale auf den Tumorzellen gezielt verstärken. Partner sind beispielsweise der CD20-Antikörper Rituximab bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom und die hypomethylierende Substanz Azacitidin bei Patienten mit AML/MDS. Damit zeigte sich eine deutlich bessere Effektivität. Erste Studienergebnisse sind im untenstehenden Infokasten zusammengefasst.

Nebenwirkungen: Der CD47-Antikörper wird laut der bislang vorliegenden Studiendaten von den Patienten insgesamt gut vertragen. Im Vordergrund der mild bis mäßig ausgeprägten Nebenwirkungen stehen eine Anämie und weitere Zytopenien, Kopfschmerzen, Fatigue, Fieber, Erkältungsbeschwerden, Infusionsreaktionen und Gelenkbeschwerden.



Der Blick in die Zukunft

CD47-Hemmstoffe könnten die Palette der Immun-Krebstherapie künftig bereichern. Bislang ist die Behandlung noch experimentell. Weltweit ist bislang kein entsprechendes Medikament zugelassen.

Magrolimab/Azacitidin-Studie bei MDS: Am weitesten fortgeschritten ist die klinische Entwicklung bei Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS). Im Herbst 2020 starteten Ärzte eine große Phase-III-Studie, in der der CD47-Antikörper Magrolimab mit Azacitidin kombiniert eingesetzt wird4. Ergebnisse dieser Studie werden mitentscheidend dafür sein, ob Magrolimab in näherer Zukunft als Medikament für Patienten mit MDS zugelassen und auch in weiteren Studien mit anderen Krebserkrankungen eingehender untersucht werden wird.

Weitere Substanzen: Neben Magrolimab werden weitere CD47-Antikörper in sehr frühen Studien untersucht. Auch Substanzen, die SIRPα blockieren, werden erforscht. Interessant für die Arzneimittelforschung sind auch sogenannte QPCTL-Enzym-Hemmer. Sie hemmen das Enzym "Glutaminyl-Peptide CycloTransferase-Like", das bei der Herstellung von CD47 wichtig ist.

Viele Fragen sind noch offen:

  • Welche Krebspatienten profitieren besonders von den neuen Checkpoint-Hemmern? Die Wissenschaftler suchen nach Biomarkern, die einen Erfolg der Behandlung vorhersagen können.
  • Welche Kombinationen sind hilfreich? Therapien, die als Partner das "Eat-me"-Signal verstärken, sind möglicherweise zielgerichtete Antikörper, aber auch Chemotherapien und eine Strahlentherapie. Auch PD-1/PD-L1-Checkpoint-Hemmer werden in klinischen Studien mit CD47/SIRPα-Hemmstoffen kombiniert.
  • Wie können gesunde Zellen bestmöglich geschützt werden? Entscheidend sind Auswahl und Art der eingesetzten Hemmstoffe und ihrer Kombinationspartner. Eine Anämie könnte darüber hinaus mit dem sogenannten "Priming" vermindert werden: Geringe CD47-Antikörper-Dosen fangen ältere rote Blutzellen bereits vor der eigentlichen Behandlung gezielt ab.

Das Fazit: Mit CD47-Hemmern sind vielversprechende Checkpoint-Hemmer des unspezifischen Immunsystems für Krebspatienten in der Pipeline. Weitere umfassende präklinische und klinische Forschung ist aber notwendig, bevor CD47/SIRPα-Hemmstoffe in die Routineanwendung bei Krebs gelangen können.



krebsinformationsdienst.med: Service für Fachkreise



Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

powered by webEdition CMS