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Antibiotika vor Krebs-Immuntherapie: Eine Kombination mit Nachteilen?

Eine veränderte Darmflora schmälert möglicherweise die Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren

Immun-Checkpoint-Inhibitoren werden bei immer mehr soliden Tumoren in fortgeschrittenen Stadien eingesetzt. Wie viele Krebspatienten aufgrund von Infektionen zudem Antibiotika verschrieben bekommen, ist unklar – die Zahl dürfte aber nicht zu vernachlässigen sein. Erste Studiendaten weisen darauf hin, dass eine Checkpoint-Hemmer-Therapie weniger wirksam sein könnte, wenn zuvor Antibiotika gegeben wurden. Dies hängt vermutlich mit der veränderten Darmflora nach Antibiotikaeinnahme zusammen. Ein solcher Zusammenhang ist bislang nicht zweifelsfrei belegt, doch da das Thema wichtig ist, hat krebsinformationsdienst.med die aktuelle Datenlage für Sie zusammengestellt.

Antibiotika vor Immuntherapie – Neue Daten aus der Klinik

Wie wirken Immun-Checkpoint-Inhibitoren?

Die verschiedenen Wirkmechanismen der zugelassenen Immuntherapien können im Archiv nachgelesen werden.

In der Fachzeitschrift Annals of Oncology veröffentlichte die Arbeitsgruppe um Routy B et al. im Juni 2018 Ergebnisse einer Studie zum Einfluss von Antibiotika auf eine Immuntherapie. Sie zeigten, dass Checkpoint-Inhibitoren schlechter wirkten, wenn Krebspatienten in den 30 Tagen vor Therapiebeginn ein Antibiotikum erhalten hatten1.

Patienten und Methoden

In der Studie waren insgesamt 360 Krebspatienten untersucht worden. Von diesen litten 121 an fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (RCC) und 239 an nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC).
Die Immun-Checkpoint-Hemmer wurden den Krebspatienten in Monotherapie (Anti PD-1/Anti PD-L1) oder in Kombinationstherapie (Anti PD-1/Anti PD-L1 mit Anti CTLA4) verabreicht. Darüber hinaus wurde erfasst, ob die Patienten in 30 beziehungsweise 60 Tagen vor Beginn der Immuntherapie Antibiotika erhalten hatten. Dokumentiert wurden die Art des Antibiotikums, die Indikation für die Anwendung, die Dauer der Gabe und die Art der Verabreichung.

Ergebnisse

Sechzehn der 121 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkrebs (13 %) und 48 der 239 Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs (20 %) hatten vor ihrer Immuntherapie ein Antibiotikum erhalten. Häufig waren β-Laktam-Antibiotika verschrieben worden, gefolgt von Chinolonen und Sulfonamiden. Bei Patienten mit Nierenzellkarzinom war die häufigste Indikation eine Entzündung der harnableitenden Organe. Bei den Lungenkrebspatienten waren die Antibiotika zumeist aufgrund einer Pneumonie oder zur Prophylaxe einer Pneumocystis-Pneumonie verabreicht worden. Die Gabe wirkte sich deutlich auf das mediane Gesamtüberleben und das krankheitsfreie Überleben der Patienten aus:

  • Bei Patienten mit Nierenzellkrebs, die in den 30 Tagen vor Beginn der Immuntherapie ein Antibiotikum erhalten hatten, betrug das progressionsfreie Überleben (PFS) 1,9 Monate gegenüber 7,4 Monaten in der Gruppe ohne Antibiotikum. Das Gesamtüberleben (OS) lag bei 17,3 Monaten verglichen mit 30,6 Monaten.
  • Gleiches galt auch für Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, die in den 30 Tagen vor der Therapie mit einem Checkpoint-Hemmer ein Antibiotikum bekamen. Das mediane PFS betrug 1,8 Monate nach Antibiotikum im Vergleich zu 3,8 Monaten ohne. Das OS betrug in der Antibiotika-Gruppe 7,9 Monate verglichen mit 24,6 Monaten.
  • Bekamen Patienten mit Nierenzellkrebs das Antibiotikum innerhalb von 60 Tagen vor der Immuntherapie, näherten sich die Werte der Gruppe an, die keine Antibiotika erhalten hatte. Das mediane PFS betrug 3,1 Monate statt 7,4 Monate und das OS 23,4 Monate verglichen mit 30,6 Monaten. In der Gruppe mit Lungenkrebspatienten zeigten sich bei einer Antibiotikagabe 60 Tage vor Immuntherapie keine Unterschiede zur Gruppe ohne Antibiotika.

Aussagekraft der Studie eingeschränkt

Zu bedenken sind folgende Faktoren, die die Aussagekraft der Studie einschränken: Die Daten wurden retrospektiv erhoben. Messzeitpunkte, etwa der Ansprechraten, waren deshalb nicht synchronisiert. Zudem hatten die Patienten unterschiedliche Erstlinientherapien erhalten. Auch waren die Krebspatienten, die Antibiotika erhalten hatten, in einem schlechteren Gesundheitszustand und hatten mehr Krankenhausaufenthalte hinter sich als die, die ohne Antibiotika auskamen.

Die Autoren kommen nach multivariaten Analysen dennoch zu dem Schluss, dass sich eine Antibiotikagabe in den 30 Tagen vor Beginn einer Immuntherapie negativ auf die Krebserkrankung auswirke. Weitere, möglichst prospektive Studien, müssen die Ergebnisse aber noch bestätigen.

Antibiotika, Darmflora und Immuntherapie – Zusammenhänge

Bekannt ist, dass Antibiotika das Mikrobiom ändern, also die Gesamtheit der Mikroorganismen, die auf dem Menschen siedeln: Eine Antibiose beeinflusst beispielsweise die Zusammensetzung von Darmbakterien in ihrer Gesamtmenge und Vielfalt negativ und das kann nachteilige Auswirkungen auf das Immunsystem haben2.

Wie lange die Darmflora braucht, um sich von einer Antibiotikagabe zu erholen, hängt unter anderem von der Antibiotikaklasse, der Dauer der Gabe und der Verabreichung ab. Auch, ob bestimmte Kommensalen resistent gegen die Medikamente sind, ist relevant. Sind resistente Bakterien vorhanden, kann sich die Darmflora innerhalb von 1 bis 3 Monaten erholen. Im ungünstigsten Fall kann es aber auch Jahre dauern, bis das Darm-Mikrobiom wieder intakt ist.

Wie beeinflussen Bakterien die Immuntherapie?

Welche Bakterienflora im Darm mit einer besseren Wirksamkeit einer Immuntherapie assoziiert ist, wurde von verschiedenen Arbeitsgruppen untersucht3,4:

In einer texanischen Studie zeigte sich, dass bei Melanom-Patienten, in deren Darm eine große Menge des Bakteriums Faecalibacterium prausnitzii vorhanden war, der Tumor auf die Therapie mit Checkpoint-Hemmern ansprach. Kamen im Darm der Patienten dagegen vermehrt Bakterien der Typen Bacteroides thetaiotaomicron, Escherichia coli und Anaerotruncus colihominis vor, profitierten die Patienten nicht von der Immuntherapie3.

Zytokin-Ausschüttung beeinflusst

Anscheinend steigerten große Mengen von Darmbakterien der Ordnungen Clostridiales, Ruminococcaceae oder der Spezies Faecalibacterium die Zahl der T-CD4+- und T-CD8+-Helferzellen. Sie schütten vermehrt Zytokine aus. Bei Patienten, deren Tumor nicht auf die Immuntherapie ansprach, waren dagegen vermehrt regulatorische T-Zellen und myeloide Suppressorzellen aktiv, welche die Zytokinausschüttung abschwächten. In dieser Studie hatten die Patienten keine Antibiotika erhalten.

Nützliche Bakterien nach Antibiotikagabe

Nützliche Bakterien, die das Ansprechen auf eine Checkpoint-Inhibition nach Antibiotikatherapie begünstigten, führte eine Vorläuferstudie der Arbeitsgruppe um Routy B et al. auf4: In der Studie verkürzte die Einnahme von Antibiotika vor und unter einer Checkpoint-Hemmer-Therapie bei Krebspatienten das progressionsfreie Überleben und Gesamtüberleben, bei Patienten, die keine Antibiotika erhielten dagegen nicht.

Hier wirkte sich die Zusammensetzung der Darmbakterien günstig auf die Immuntherapie aus: Waren bei den Patienten die Bakterien Akkermansia muciniphila und Enterococcus hirae in großer Menge vorhanden, wurde eine Immunantwort von T1-Helferzellen und zytotoxischen T1-Zellen angeregt. Das wiederum führte zu erhöhten Interferon-γ-Spiegeln. Darüber hinaus wurden dendritische Zellen angeregt, vermehrt Interleukin-12 auszuschütten.

Andere Veröffentlichungen benennen weitere Bakterien, die bei Krebspatienten möglicherweise eine Immuntherapie positiv oder negativ beeinflussen könnten5,6,7.

Transfer von Darmbakterien – eine mögliche Lösung in der Zukunft

Beide Studiengruppen konnten bei krebskranken Mäusen das Ansprechen auf eine Immuntherapie steigern, indem sie Bakterien transferierten. Dazu wurden Bakterien von den Patienten, bei denen der Tumor auf die Immuntherapie angesprochen hatte, auf Mäuse übertragen. Eine Technik, die dieses Prinzip nutzt, muss jedoch in vorklinischen Untersuchungen und klinischen Studien mit Patienten noch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erprobt werden. Genauer untersucht werden muss zudem, bei welcher Krebserkrankung die Patienten von welchen Darmbakterien profitieren könnten.

Fazit für die Praxis

Die Zusammenhänge zwischen Darmflora, Antibiotika und Immunsystem bei Krebspatienten sind nicht vollständig erforscht. Es laufen viele Untersuchungen zum Thema. Noch ist die Datenlage zu schwach, um vor einer Antibiotikagabe vor oder während einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren zu warnen, gerade auch, wenn eine dringende Indikation hierfür gegeben ist. krebsinformationsdienst.med hält Sie auf dem Laufenden, sollten sich die Empfehlungen aufgrund neuer Studiendaten ändern.

Bis es klare Empfehlungen gibt, ist es wichtig, bei Krebspatienten vor und unter einer Immuntherapie Pro und Contra einer Antibiotikagabe sorgfältig abzuwägen. Gegebenenfalls lohnt es sich, die Checkpoint-Hemmer erst dann einzusetzen, wenn Krebspatienten sich nach einem Antibiotikaeinsatz etwas erholen konnten.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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