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Darmkrebs: Aktueller Stellenwert der Immuntherapie

Bisher nur für wenige Patienten geeignet

Mit der Immuntherapie wurden bei einigen Krebsarten wie Haut-, Lungen-, Nieren- und Blasenkrebs bahnbrechende Erfolge erzielt. Das gilt speziell für die Immun-Checkpoint-Hemmer. Für Patienten mit Darmkrebs ist in Deutschland aber bisher noch kein Medikament aus dieser Gruppe zugelassen. Warum ist das so? Welche Entwicklungen sind für die nächsten Jahre zu erwarten? Den aktuellen Stand und neue Forschungsergebnisse zu Immuntherapeutika beim kolorektalen Karzinom hat krebsinformationsdienst.med für Sie zusammengestellt.

Immun-Checkpoint-Hemmer bei Darmkrebs

Studien zufolge profitieren derzeit nicht viele Patienten mit Darmkrebs von Immun-Checkpoint-Hemmern. Für eine Untergruppe kolorektaler Karzinome im fortgeschrittenen Stadium sind jedoch in den USA bereits die Immun-Checkpoint-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab zugelassen: für die sogenannten mikrosatelliteninstabilen (MSI-high, auch MSI-H) beziehungsweise Mismatch-Repair-defizienten (dMMR) kolorektalen Karzinome. Darunter fallen knapp 5 % aller kolorektalen Karzinome im metastasierten Stadium. Ungewöhnlich dabei: Die Zulassung für Pembrolizumab in den USA ist nicht spezifisch für Darmkrebs – sie gilt für fortgeschrittene MSI-high- oder dMMR-Tumoren unabhängig davon, von welchem Organ sie ausgehen.

Noch zu wenige Daten?

In Europa und damit auch in Deutschland ist bisher kein Immun-Checkpoint-Hemmer für Patienten mit Darmkrebs zugelassen. Ende Januar 2018 sprachen sich die Experten des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) vorläufig gegen die Zulassung von Nivolumab für mikrosatelliteninstabile oder Mismatch-Repair-defiziente kolorektale Karzinome aus. Ihrer Einschätzung nach reichen die bisherigen Daten nicht aus, um den Nutzen überzeugend zu belegen. Daraufhin wurde der Zulassungsantrag vom Hersteller zurückgezogen.

Mikrosatelliteninstabilität – was ist das?

Darm©Sebastian Kaulitzki/Fotolia
©Sebastian Kaulitzki/Fotolia

Mit dem Begriff "Mikrosatelliteninstabilität", kurz MSI, MSI-H oder MSI-high, beschreibt man Abweichungen in der Anzahl kurzer, sich wiederholender Erbgutabschnitte, den Mikrosatelliten. Solche Abweichungen kommen durch einen DNA-Reparaturdefekt zustande: Bei den Betroffenen ist das Mismatch-Repair-System gestört. Dieses System ist insbesondere für die Korrektur von kleinen Fehlern in der Basenabfolge zuständig. Solche Fehler können bei der Replikation entstehen, wenn sich die DNA – in Vorbereitung auf eine Zellteilung – verdoppelt. Ist der Mismatch Repair gestört, häufen sich im Verlauf von Zellteilungen kleine Mutationen in den Zellen an.

Ererbte Störungen im Mismatch-Repair-System liegen dem Lynch-Syndrom, also dem erblichen nicht-polypösen Darmkrebs (HNPCC) zugrunde. Sie können aber auch in sporadischen Tumoren auftreten.

Genveränderungen als Biomarker?

Immun-Checkpoint-Hemmer

Das sind Antikörper, die sich gegen natürliche "Bremsen" im Immunsystem richten. Dadurch aktivieren sie insbesondere die zur Tumorbekämpfung wichtigen zytotoxischen T-Zellen. Beispiele sind die gegen PD-1 gerichteten Antikörper Nivolumab und Pembrolizumab, gegen PD-L1 gerichtete Antikörper wie Atezolizumab oder Avelumab oder gegen CTLA-4 gerichtete Antikörper wie Ipilimumab. Mehr zu Immun-Checkpoint-Hemmern finden Sie im Informationsblatt "Immuntherapie gegen Krebs" (PDF).

Inzwischen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine Krebserkrankung umso besser auf eine Immuntherapie anspricht, je mehr Genveränderungen die Tumorzellen gegenüber gesunden Zellen aufweisen. Man spricht dabei auch von einer höheren "Mutationslast" (mutational load, mutational burden) der Tumoren. Hat eine Krebszelle viele Genveränderungen, stellt sie in der Folge auch viele veränderte Genprodukte her, beispielsweise veränderte oder verkürzte Proteine. Dies sind sogenannte Neoantigene – neue Antigene, die von den Immunzellen als körperfremd erkannt und angegriffen werden können.

Mikrosatelliteninstabile kolorektale Karzinome
Erste Studien zeigen, dass ein substanzieller Teil der mikrosatelliteninstabilen beziehungsweise Mismatch-Repair-defizienten Tumoren bei Darmkrebs und auch bei anderen Krebserkrankungen gut auf eine Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern anzusprechen scheint. In den USA ist daher Pembrolizumab – wie oben bereits erwähnt – als erstes Medikament lokalisationsunabhängig zur Behandlung von fortgeschrittenen Tumoren mit dem MSI-high-Phänotyp zugelassen worden.

Andere Unterformen kolorektaler Karzinome
Neben den mikrosatelliteninstabilen Tumoren gibt es bei Darmkrebs noch eine weitere, seltene Unterform mit vielen Mutationen: die Tumoren mit einer Mutation im Gen für die DNA-Polymerase ε (POLE). Auch von diesen Tumoren erwarten Experten, dass sie gut auf eine Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern ansprechen könnten.

Andere Unterformen kolorektaler Karzinome weisen dagegen häufig eine chromosomale Instabilität (CIN) auf, die zu Verlusten oder Gewinnen ganzer Chromosomen oder Chromosomenabschnitte führt. Diese Tumoren sprechen Untersuchungen zufolge nicht gut auf eine alleinige Therapie mit Immun-Checkpoint-Hemmern an.

Was wird in der S3-Leitlinie empfohlen?

Die Autoren der Ende 2017 aktualisierten S3-Leitlinie zum kolorektalen Karzinom weisen darauf hin, dass in Deutschland bisher kein Immun-Checkpoint-Hemmer zur Behandlung von Darmkrebspatienten zugelassen ist. Trotzdem wird empfohlen, bei nachgewiesenermaßen mikrosatelliteninstabilen, metastasierten Tumoren in späteren Therapielinien über die Möglichkeit einer Behandlung mit einem Checkpoint-Inhibitor nachzudenken. Dabei würde es sich derzeit allerdings um einen Off-Label-Use handeln. Vor Therapiebeginn sollten Betroffene daher die Kostenübernahme mit ihrer jeweiligen Krankenkasse klären. Für andere Unterformen von Darmkrebs oder frühere Krankheitsstadien gibt es bisher noch keine Empfehlungen zum Einsatz einer Immuntherapie.

Immuntherapie bei Darmkrebs – Ausblick

Um in Zukunft mehr Darmkrebspatienten eine wirksame Immuntherapie anbieten zu können, wird intensiv geforscht:

  • Die Forscher suchen nach weiteren Biomarkern, die das Ansprechen auf Immun-Checkpoint-Hemmer gut vorhersagen können. Kandidaten sind derzeit das Immuninfiltrat im Tumor oder auch das Mikrobiom des Patienten.
  • Erste Untersuchungen gibt es inzwischen auch zu anderen immuntherapeutischen Ansätzen wie CAR-T-Zellen, adoptivem T-Zell-Transfer oder peptidbasierten Impfungen.
  • Besonders vielversprechend erscheint vielen Experten die Kombination von Checkpoint-Hemmern oder anderen Immuntherapeutika untereinander oder mit anderen Therapieformen wie Chemotherapie, zielgerichteter Therapie oder Strahlentherapie.

Hier ist jedoch noch viel Forschung nötig, um den Einsatz bei Darmkrebs zu ermöglichen und zu optimieren.





Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) │ Autoren/Autorinnen: Fachkreise-Redaktion des Krebsinformationsdienstes. Lesen Sie mehr über die Verantwortlichkeiten in der Redaktion.

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